■ Marianne Faithfull back on stage
: „Up to the Stars“

Frankfurt/Main (taz) – Sie wirkt zerbrechlich – noch immer. Und man(n) würde die Hände gerne schützend über diesen „Little Bird“ halten, der für nur ein Konzert auf dem Kontinent von Irland aus ausgerechnet nach Offenbach „geflogen“ kam – in das neue Musical Theater in der Goethestraße. Marianne Faithfull alias „Ruby Tuesday“ back on stage.

Im „Flaming September“ ihres Lebens stellte die Ex-Freundin von Mick Jagger, die 1966 mit dem Titel „As Tears go by“ (Jagger/Richards) die Spitzenpositionen in den Charts der Welt belegte, ihre neue CD „A Secret Life“ vor. Und sie singt in Offenbach um ihr Leben. Nicht nur die neuen, mit einem Hauch von Melancholie überzogenen Songs wie „Love in the Afternoon“ oder eben dieses „Flaming September“, das unter die Haut geht. Faithfull präsentiert auch ihr an Brüchen reiches Leben – komprimiert dargeboten in knapp zwei Stunden: „Ruby Tuesday“ als Hommage an die nicht immer guten alten Zeiten im Umfeld der Rolling Stones, an Sex and Drugs and Rock and Roll („Sister Morphine“). „Broken English“ – der Titel, der nach all den verlorenen 70er Jahren, nach (heute überwundenem) Alkoholismus und selbstzerstörerischen Experimenten mit Drogen 1980 den Beginn ihrer zweiten Karriere markierte. Und „Trouble in Mind“, dem Klassiker des Blues, mit dem sie den Bogen von den musikalischen Wurzeln des Rock bis hin zum keyboarddominierten Sound ihrer neuesten CD schlug.

Die harten Riffs in „Broken English“ sind Symbole für die Riffs in ihrem Leben: „What are we fighting for?“ Faithfull stand schon auf der Straße mit einer Pistole in ihrer Handtasche („Time Square“), bereit, sich aus diesem Leben zu verabschieden. „I see whisky as a mother – in the end.“ Das Leben gerettet habe ihr der Entschluß, von London nach Irland zu übersiedeln, sagt Faithfull heute. Sie lebt dort zurückgezogen in einem alten Bauernhaus, schreibt Gedichte und spielt bei einem Provinztheater mit. Und wenn sie Lust auf intensive Kommunikation hat, braucht sie nur über den nächsten Hügel zu wandern. Dort hat eine andere Legende des Blues und des Rock sein Domizil: Van Morrison, der begnadete Musiker und Workaholic aus Dublin.

Stolz sei sie, sagt Faithfull in Offenbach, daß sie nach all diesen „verlorenen Jahren“ heute ihre eigene Band habe. Und sie lächelt dabei ihr Lächeln aus den frühen Jahren, als sie noch mit glockenheller Stimme vom „Little Bird“, der „North Country Maid“ oder den sorglosen „Summer Nights“ am Strand sang. Die Band mit dem schwarzen Drummer treibt die immer noch blonde Lady mit der an Louis Armstrong erinnernden kaputten, aber gerade deshalb so faszinierenden Stimme zu neuen, schweißtreibenen Einsätzen an. Die Stimme von Faithfull, hieß es in der FAZ, klinge „wie ein zur Geröllhalde mutierter Baßbariton“.

Faithfull fragil? Das war nur ein optischer Eindruck. Die selbsterkämpften Siege über die Verzweiflung haben dem „Little Bird“ Kraft und neue Flügel verliehen: „Up to the Stars“. Die demonstrierte neue Lust am Leben ist authentisch, ist Wahrheit – und wirkt ansteckend. Man muß ihr auch deshalb dankbar dafür sein, daß sie sich nicht von „uns“ verabschiedet hat, wie all die anderen Legenden des Rock – von Jimi Hendrix bis Jim Morrison, von Janis Joplin bis Brian Jones. Sie bekam für ihren Auftritt in Offenbach viel Beifall von den rund 500 begeisterten ZuschauerInnen – und ein Oldie überreichte ihr eine weiße Orchidee. Da war die Schminke schon weggeschmolzen und die Haare „Out of Style“ – Faithfull noch authentischer. Klaus-Peter Klingelschmitt