■ Daumenkino
: Crimson Tide

Tony Scott ist erstens der jüngere Bruder von Ridley, zweitens ein preisgekrönter Werbefilmer und drittens Regisseur von Spielfilmen. 1985 drehte er eine Hymne auf die Luftwaffe mit dem albernen Titel: „Top Gun – Sie fürchten weder Tod noch Teufel.“ Man konnte den Film ignorieren, aber den Folgen entkam niemand. Noch drei Jahre danach grinste einem in jedem zweiten amerikanischen Film das Frettchengesicht von Tom Cruise entgegen. Scotts neuer Kriegsfilm heißt: Crimson Tide. Es ist nämlich ein U-Boot- Film. Und es ist ein Aufklärungsfilm. Das Thema: Wer entscheidet über den Einsatz einer Atomrakete, welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, welche Sicherheitsvorschriften gibt es und was kann schief gehen. Die Handlung ist folgende: Die Russen marschieren in Tschetschenien ein. Die USA erklären ihre Mißbilligung und drohen mit Sanktionen. Ein atomschweres russisches Armeekorps fühlt sich dadurch ge kränkt und paktiert mit einem übergeschnappten Nationalisten. Gemeinsam erklären sie den USA und Japan den Krieg. Diese schlichten Tatsachen teilt uns zu Beginn des Films ein CNN-Reporter mit und erst dann beginnt der Film eigentlich. Ein amerikanisches U-Boot, mit Atomwaffen reichlich bestückt, soll die russischen Rebellen aufhalten, bevor diese ihre Atombomben aktivieren können. Nach einem ersten Zusammenstoß mit einem russischen U-Boot erhält der Kapitän über Funk den Befehl, seine Atombomben zu zünden, ein zweiter Befehl kommt wegen technischer Störungen nur verstümmelt an. Der Kapitän will jetzt dem ersten Befehl folgen, aber sein Erster Offizier will erst das Radio reparieren, um die zweite Meldung noch einmal abzufragen. Er vermutet, daß mit der zweiten Meldung der erste Befehl widerrufen wurde. Die beiden wären also im Netz. Muß noch der Rest der Mannschaft mitspielen. Da der Erste Offizier den Befehl verweigert, setzt der Kapitän ihn ab. Nicht genug damit, stellt er ihn unter Arrest. Dies ist jedoch ein Verstoß gegen die Vorschriften und weil die Vorschriftenim Krieg alles sind, was ein Mann hat, stellt sich ein Teil der Mannschaft hinter den Ersten Offizier. Aber sie hassen ihn dafür. Dann verhaften sie den Kapitän.

Dieser Film verdankt seinem Drehbuch (Michael Schiffer) alles. Um die Bomben zu zünden, muß ein höchst kompliziertes Ritual durchgespielt werden. Nachrichten müssen entschlüsselt, bestätigt, wieder bestätigt und ein drittes Mal bestätigt werden – immer durch lautes Vorlesen –, riesige Schlüsselbunde werden herumgereicht, damit eine bestimmte Person eine bestimmte Tür öffnet und schließlich muß noch an Zahlenschlössern gedreht werden. Während die geteilte Mannschaft abwechselnd meutert, diskutiert sie praktisch ununterbrochen darüber, ob nun der Kapitän im Recht ist oder der erste Offizier. „In einem Atomkrieg ist der Feind der Gegner“, hatte der Kapitän beim Abendessen gesagt. „In einem Atomkrieg ist der Feind der Krieg“, entgegnete der Erste Offizier. Drehbuchautor Schiffer ist vollkommen unbeeindruckt von der Vorstellung, daß in dieser Situation – drohender Atomkrieg – solche Fragen überflüssig sein könnten. Oder in ihrer Konkretheit lächerlich. Egal ist überhaupt nichts und bei wichtigen Fragen braucht es einen „common sense“. Faule Witze reißen und sich raushalten gibt es nicht. Wie in Die 12 Geschworenen. Wie in Rohmers „Der Baum, der Bürgermeister und die Mediathek“. Wer unter der Sonne hätte jemals gedacht, daß ein amerikanischer Kriegsfilm einem Film von Rohmer ähneln könnte?

Selbst die Schauspieler ordnen sich dem Drehbuch unter. Gene Hackmann (Kapitän) und Denzel Washington (Erster Offizier) tun praktisch gar nichts. Einer spricht, der andere hört zu, und dann antwortet er. Sie reagieren einfach nur aufeinander. Washingtons Erster Offizier handelt zwar wie ein vernünftiger Mann, aber die Vernunft überdeckt, wie schon bei James Stewart in „Der Mann, der Liberty Valance erschoß“, nur hauchdünn den Streber darunter. Er raucht nicht, hat Familie und eine lupenreine Karriere an den einschlägigen Militärinstitutionen hinter sich. Außerdem war er in Havard. Der Kapitän ist ein alter Haudegen. Bevor die Fahrt losgeht, hält er eine markige Rede an die Jungs: „Treten wir sie in den Arsch!“ Die Sympathien sind gänzlich wider die Vernunft verteilt, was den Zuschauer zur Überprüfung der eigenen Ansichten ermutigt.

Die Produktionsfirma hat einen Haufen Geld ausgegeben, um das U-Boot so real wie möglich aussehen zu lassen. Aber es ist überhaupt nicht wirklich. Die Räume sind blitzsauber und in verschiedenen schummrigen Farben ausgeleuchtet, damit man sie auseinanderhalten kann. Es könnte ein U-Boot sein oder eine Diskothek. Männer klettern in einem fort Leitern rauf und runter und man sieht so viele verschwitzte T-Shirts, wie in einer Nike-Werbung. Aber im großen und ganzen hat sich Tony Scott rausgehalten und die Schauspieler machen lassen. Man kann sich einfach zurücklehnen, die Augen schließen und nur zuhören. Die Bilder vermißt kein Mensch. Nicht rausgehalten hat sich der Komponist. Man sollte meinen, daß eine Handvoll Matrosen ihre Probleme diskutieren darf, ohne ständig von einem auftrumpfenden Männerchor belästigt zu werden. Aber mit Hans Zimmer (König der Löwen) war das wohl nicht zu machen. Anja Seeliger

Crimson Tide“ von Tony Scott. Mit Denzel Washington, Gene Hackmann