Look Back in Angora

Instant Camp – Tim Burtons Biopic „Ed Wood“ ist das Porträt eines passionierten Dilettanten  ■ Mariam Niroumand

Zu den ersten Aufnahmen, die der angehende Schlock-Regisseur Edward D. Wood Jr. machte, gehörte der Zeppelin Hindenburg bei seinem Flug über den Hudson River. Wood war damals elf, Sohn eines Postbeamten und einer Schmuckverkäuferin und lebte in Poughkeepsie, New York. Dieser Ortsname und die Tatsache, daß der Zeppelin bekanntermaßen wenige Minuten später fatal über New Jersey niederging, sind eine Art Omen: Ed Wood ist sein Leben lang ein Loser gewesen; als Soldat im Südpazifik, der Damenwäsche unter der Uniform trug, als Horrorfilmer, der geklaute und defekte Tintenfische zu seinen Monstern machen mußte, und schließlich als alkoholisierter Soft-Pornograph, der starb, nachdem er auch noch aus der miesesten Gegend Hollywoods zwangsgeräumt worden war.

Holy Wood: Vielleicht konnte nur Tim Burton, nach „Edward Scissorhands“ und „Batman“ einer der sichersten Bänke der Branche, auf die Idee kommen, eine solche Anti-Success-story zu drehen. Dann wieder ist er mit dieser Leidenschaft für Dilettantismus offenbar nicht allein. Allenthalben finden Ed-Wood-Retros statt: „Glen or Glenda?“ (1953), eine Monster- Travestie und wenn man so will, ein Urahne der „Rocky Horror Picture Show“; „Plan 9 from Outer Space“ (1956), ein Science Fiction mit erstaunlich geringem Science- Anteil, bei dem es zur Animation eines bulligen Kerls durch einen zarten Herrn Dr. Acula kommt; oder „The Bride and the Beast“(1958) erfreuen sich größter Beliebtheit. Das Sentiment ist Mitleid, von einem technologischen Gefälle herab. Seltsam: Gerade in dem Moment, wo Hollywood mit Hilfe fantastischem Industrial Light & Magics auch noch die letzten Säume und Nähte verschwinden lassen kann, delektieren sich Ed-Wood-Fangemeinden an falschen Anschlüssen, lausigem Schauspiel und feist ins Bild herabbaumelnden Mikrophonen. Überall schießen „Worst-Film-Festivals“ aus dem Boden, auf denen Ed Wood seinem Kollegen Oscar Micheaux den Rang als schlechtester Regisseur aller Zeiten abläuft. No success like failure? Irgendwie scheint es, als sei Camp über sich selbst gestolpert; plötzlich ist es möglich, etwas, was sich früher erst mit dem Ansetzen einer gewissen Patina einstellte, „instant“ an große Kinos zu verfüttern. Camp war einst patzig und ist jetzt putzig.

Weit davon entfernt, Wood vorschnell zum alten Camp legen zu wollen, wie es die Praxis jener Festivals ist, hat Burton einen cinderellasüßen Kunstfilm aus diesem Biopic gemacht, der sich nach einer Seite zu „Citizen Kane“ verbeugt und nach der anderen zu Walt Disney. Jonny Depp, der nun schon vielfach heimatlose und unerlöste Gespenster gegeben hat, spielt den Künstler als liebenswerten, tiefernsten Passionario (Gary Indiana hat nicht unrecht, ihn einen „John Waters ohne Ironie“ zu nennen). Aber nur so, erinnern wir uns!, entsteht Camp: Die Autoren meinten es immer ernst; das Belächeln ist Sache der Nachwelt.

Wie alle Figuren aus Tim Burtons Kabinett sucht auch sein Ed Wood sich eine Familie: Er findet den Morphinisten und glücklosen Mimen Bela Lugosi (kongenial hingehaucht von Martin Landau), als er gerade bei einem Bestattungsunternehmer einen Sarg ausprobiert. Eine Dame namens Vampira wird von ihrer 50er Jahre Fernsehshow „Movie Macabre“ abgeworben; und George „The Animal“ Steele gibt den Riesenhomunculus. Wood findet eine Frau, die ihm willig ihre Angorapullis für seine nächtlichen Cross-Dressings reicht (Patricia Arquette!). Vom Set der Republic Studios geklaut kam noch ein defekter Oktopus hinzu. Das „perfect!“, das Wood, der stets nur einen Take nahm, immer durch seine Flüstertüte rief, klingt nur halb so melancholisch wie die Lage aussieht. Hauptsache eine Szene ist im Kasten - für die Cahiers du cinéma die ultimative Hommage an die Aufnahme, den Film, das Kino schlechthin. Assez triste: Irgendwann steht Lugosi, den Wood wohl so geliebt haben muß wie Burton seinen Vincent Price, im Regen und wiederholt seinen Monolog aus Woods „Bride of the Monster“ („Zuhause? Ich habe kein Zuhause!“) – beide Männer weinen. Erst als die Lage komplett aussichtlos scheint und sie aus einem weiteren Studio geflogen sind, trifft Wood in einer Kaschemme sein Idol Orson Welles: „Mach weiter, junger Mann. Visionen muß man folgen!“

Ähnlich wie „Edward mit den Scherenhänden“ ist auch hier der Preis (und Garant!) für die höchste Süße eine fast komplette Abwesenheit von Sex. Daran ändert die Tatsache, daß Wood ein heterosexueller Transvestit war, überhaupt nichts. Einmal schlüpft er gerade in dem Moment in Angora und Pumps, als die Produzenten von „Plan 9“, eine Baptistenvereinigung, eine zentrale Friedhofsszene aus dem Film geschnitten haben wollen. Cross- dressing als Künstlerpose.

Der Film, in tintenschwarz und westenweiß gehalten, beginnt auf einem Friedhof. Auf den gewitterumtosten Grabsteinen stehen die Namen der handelnden Person und ihrer Darsteller: No names und big names, Patricia Arquette und Kathy O'Hara, Sarah Jessica Parker und Dolores Fuller, Bela Lugosi, Martin Landau, John „Bunny“ Beckenridge, Bill Murray, Jonny Depp – und Ed Wood. Hollywood als Spukschloß, das im Jahr des Kinogeburtstags und der Mammuteinnamen von den Flops und Floppisten heimgesucht wird?

Seltsamer noch als die Tatsache, daß gerade jetzt eine Art von Filmproduktion gefeiert wird, in der die Kunst sozusagen hinter sich selbst zurückfällt, ist die Tatsache, daß diese Dilettanten-Desaster so perfekt in Szene gesetzt sind, wie man es eben von Tim Burton kennt.

Gefilmt nach einem Skript von Scott Alexander und Larry Karaszewski, die wiederum Rudolph Greys oral history „Nightmare of Ecstasy“ adaptierten, wird jede miserable Ausleuchtung aus den Originalfilmen, jeder falsche Schatten, jedes Pappmaché-Grab genauestens rekonstruiert.

Es war eben diese verlangte Genauigkeit, die so teuer wurde. „Die peinlich genauen Reproduktionen von Woods baufälligen Konstruktionen erinnern an den Buena Park of Living Art,“ schreibt der amerikanische Filmkritiker Jim Hoberman bewundernd, „wo die Mona Lisa oder die Mutter von Whistler als herzerweichende Wachs-Dioramen präsentiert werden - nur ist es bei Ed Wood eben umgekehrt.“ So ist die größte Ironie dieses Films vielleicht wirklich seine ultimative Armut an Ironie.

Hollywood aber bleibt es: Burton läßt die Geschichte von Ed Wood enden, bevor sie in Softporno und Alkohol versinkt. Gerade noch für „Glen or Glenda?“ aus dem Kino verjagt, das dann vom Publikum demoliert wurde, steht er mit „Plan 9 from Outer Space“ (einem Film, der nie in Los Angeles im Kino zu sehen war) vor dem vollen Pantages Theater auf dem Hollywood Boulevard und läßt sich feiern. Das jubelnde Publikum, das ihm da zu Füssen liegt, das – nun ja – sollen dann wohl wir sein. Tatsächlich soll es bereits in Amerika eine Kampagne geben, die erreichen will, daß Ed Woods Name auf dem Hollywood Boulevard in das Pflaster eingelassen wird, in dem auch all die anderen Namen stehen.

„Ed Wood“. Regie: Tim Burton. Mit Jonny Depp, Martin Landau, Sarah Jessica Parker, Patricia Arquette, Bill Murray. USA 1994, 127 Minuten.