Unterschiedliche Maßstäbe

■ betr.: „Soldaten sind keine Killer“, taz vom 7. 7. 95

Es erscheint mir völlig sinnlos, die Auseinandersetzung um die Frage, ob Soldaten Mörder beziehungsweise Killer sind oder nicht, auf gerichtlichem Wege klären zu wollen, weil es sich meiner Meinung nach hier um eine ethische Frage handelt. Rechtlich ist in unserem Rechtsstaat genau festgeschrieben, was unter Mördern, Totschlägern oder Soldaten zu verstehen ist. Weil es offenbar vom überwiegenden Teil der Bevölkerung so gesehen wird beziehungsweise von denjenigen, die die Gesetze gemacht haben, so gesehen wurde, gibt es in unserer Gesellschaft einen rechtlichen Unterschied zwischen dem „Töten von Menschen zur Verteidigung des Landes beziehungsweise im Auftrag der Gesellschaft durch Soldaten“ und dem „ganz primitiven Töten von Menschen durch ganz normale Leute aus niederen Motiven“. Das ist geltende Rechtsprechung und eine Verurteilung somit nur folgerichtig.

Wer jedoch generell jedes Töten von Menschen, auch das auf Befehl, als Mord ansieht (was ich durchaus nachvollziehen kann), hat in dieser Gesellschaft wahrlich ein Problem: das, einen anderen ethischen Anspruch zu haben als die „demokratische“ Mehrheit der Menschen in diesem Land. Die Wahrung dieses ethischen Anspruchs mit den rechtlichen Instrumentarien einer Gesellschaft durchsetzen zu wollen, die diesen ethischen Anspruch rechtlich nicht verankert hat, halte ich für ein absurdes Unterfangen. Ungefähr so absurd wäre es im Dritten Reich gewesen, wenn Juden, Sinti oder andere „mindere Rassen“ versucht hätten, gegen Ungleichbehandlung, Geschäftsschädigung oder Körperverletzung zu klagen. Aber auch das Dritte Reich war streng genommen ein „Rechtsstaat“, es gab „ordentliche Gerichte“ und „Rechtsprechnung“. Die Geschichte sollte uns eigentlich gelehrt haben, daß weder „Rechtsstaatlichkeit“ noch Demokratie per se ein Garant für Gerechtigkeit und Wahrung der Menschenwürde sind. Die ethischen Maßstäbe, die den Gesetzen zugrundeliegen, werden nicht von den Richtern, sondern von uns beziehungsweise der Legislative festgelegt, weshalb das Urteil keine „Schande für den Rechtsstaat“ ist, denn der funktioniert ja folgerichtig, sondern es ist eine Schande, daß in unserer Gesellschaft an das Töten von Menschen unterschiedliche Maßstäbe angelegt und rechtlich verankert werden.

Haarspalterei? Meiner Meinung nach nicht. Vom Bundesverfassungsgericht wurden bereits häufiger die zunehmenden Versuche kritisiert, grundsätzliche politische Fragen durch Gerichte auf der Grundlage der vorhandenen Gesetze beantworten zu wollen. Ich halte diese Versuche zudem für kontraproduktiv, weil durch die endlose Streiterei über das „wer hat Recht“, das hartnäckige Formulieren und Diskutieren von präzisen Fragen unter der Maxime „Was ist unser Ziel und ist das, was wir tun, dazu geeignet, dieses Ziel zu erreichen“ völlig vernachlässigt wird. Wenn man also den vollmundigen Äußerungen der VIPs zu diesem Thema Glauben schenken darf, dann ist unser aller Ziel das „friedliche Zusammenleben aller Völker und das gewaltfreie Lösen von Konflikten“. Gemessen an diesem Ziel: Ist es da nicht kontraproduktiv, Waffen zu produzieren sowie Männer (und Frauen) im Töten mit denselben auszubilden? Wäre es nicht sinnvoller, sie in friedlichem Zusammenleben und in gewaltfreier Konfliktlösung zu schulen? Wer diese Fragen mit nein beantworten will, braucht gute Argumente. Sollten die Fragen wider Erwarten allgemein mit „ja“ beantwortet werden, kann man sich sogleich weiterwundern, warum es denn noch eine Bundeswehr und Waffenproduktion gibt. Bei der Beantwortung dieser Fragen würden dann Zusammenhänge mit unserem stark fehlerhaften Geldsystem sichtbar, die bisher kaum gesehen werden oder aus durchaus „niederen Motiven“ verschwiegen werden. Aber solange sich alle nur darum streiten, wer Recht hat, bleibt keine Zeit für Fragen. Wie praktisch für die, die an all dem verdienen. Claudia Freyer, Belzig