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„Eine Frage des Lebensstils“

Die israelisch-syrischen Friedensverhandlungen werden das Leben der Siedlerin Marianna Segel und der Drusin Miada Abu Zaid völlig verändern  ■ Vom Golan Karim El-Gawhary

Marianna Segel liebt diesen Ort. Das Klima ist angenehm frisch, die Landschaft atemberaubend schön. Die Arbeit an der frischen Luft macht ihr Spaß, und mit den anderen jungen Familien im israelischen Kibbuz pflegt sie gute Beziehungen. Ihr einziges Problem: Mariannas Kibbuz Ortal liegt auf dem israelisch besetzten Golan, unweit der syrisch-israelischen Waffenstillstandslinie. Marianna gehört zu jenen 13.000 Golan-SiedlerInnen, deren Schicksal seit Beginn der syrisch-israelischen Gespräche quasi auf dem Verhandlungstisch liegt.

„Land für Frieden“ lautet das Prinzip, auf das sich beide Seiten zunächst geeinigt haben. Die genaue Umsetzung dieser Parole wird in den kommenden Monaten in Washington ausgehandelt werden. Israelische und syrische Militärspezialisten werden darum feilschen, wieviel Land genau wieviel Frieden wert ist. Jedoch gilt schon jetzt als ausgemacht, daß die Israelis am Ende der Verhandlungen weite Teile des Golan räumen werden. Die israelische Regierung um Ministerpräsident Jitzhak Rabin versucht seit Monaten die öffentliche Meinung im Land auf einen Rückzug vorzubereiten. „Wir müssen die Wahrheit sagen: Im Golan zu bleiben heißt, den Frieden aufzugeben. Laßt uns keine Illusionen aussäen“, erklärte etwa Außenminister Schimon Peres vor wenigen Wochen.

Die Siedler sind nicht die einzigen, für deren Zukunft die Verhandlungen entscheidend sind. Auch Miada Abu Zaids Leben könnte sich demnächst radikal verändern. Sie lebt 15 Autominuten von Mariannas Kibbuz entfernt, in der kleinen arabisch-drusischen Gemeinde Maschtal asch-Schams. Miada gehört zu jenen 13.000 SyrerInnen, die noch in sechs Dörfern am Fuße des Berges Hermon leben.

Vor dem Krieg 1967 lebten auf dem Golan fast 150.000 SyrerInnen in 163 Dörfern. Die meisten von ihnen verließen ihre Heimat während und nach dem Krieg – aufgrund von „physischem und psychischem Druck“, wie es in einem UN-Bericht heißt. Auch Miada hat heute noch Verwandte auf der anderen Seite der Demarkationslinie, und der Bruder ihres Vaters lebt in der syrischen Hauptstadt Damaskus.

Zehn Jahre nach Beginn der israelischen Besatzung geboren, kennt die heute 18jährige Syrien nur von Erzählungen der Älteren, aus dem syrischen Fernsehen und von dem Blick über den Grenzzaun hinter dem Dorf. Dennoch wünscht sie sich nichts sehnlicher, als irgenwann einmal in Syrien zu leben.

Schon jetzt hat sich die Abiturientin für ein Studium an der Universität in Damaskus angemeldet. Seit zwei Jahren erlauben die israelischen Behörden den Drusen in den Dörfern des Golan, ihre Ausbildung an der Damaszener Hochschule fortzusetzen. Miada will dort englische Literatur studieren. Eine eher ungewöhnliche Wahl. Die meisten zukünftigen Studenten vom Golan schreiben sich für Fächer wie Ingenieurwesen, Pharmazie oder Agrarwissenschaft ein.

Bis es soweit ist, hilft Miada im Büro einer lokalen Entwicklungsorganisation aus, in dem die Dorfbewohner aus eigener Kraft von der israelischen Verwaltung unabhängige Projekte für ihre kleinen Gemeinden auf die Beine stellen. Die Einrichtung einer kleinen Klinik und eines Kindergartens können sie als erste Erfolge verbuchen. Miada führt seit einem Monat das Archiv der Organisation, in dem alle Ereignisse rund um den Golan per Computer erfaßt werden sollen.

Anders als Miada ist Marianna nicht im Golan geboren. Sie kam vor sechs Jahren hierher. Begeistert von der Idee, in einem Kibbuz zu leben und auf dem Land zu arbeiten, gab sie ihre Existenz in der Nähe von Amsterdam auf. Gemeinsam mit ihrem Mann Joel begann sie ein neues Leben. Das Klima in dem Kibbuz unten im Tal, in dem ihr Mann lebte, war ihr jedoch zu heiß. Dann fand sie in Ortal mit seiner frischen Golanbrise den idealen Platz.

Tatsächlich wirkt das 1978 gegründete Ortal mit seinen 45 Familien, den liebevoll hergerichteten Gärten, dem frisch geschnittenen englischen Rasen und den spielzeugähnlichen Häuschen wie die perfekte Idylle. Wenn Mariannas achtmonatiger Sohn erst einmal laufen kann, wird er mit den anderen 70 Kindern des Kibbuz durch die Gärten und Spielplätze streifen, ohne daß sich seine Eltern Sorgen um seinen Verbleib machen müssen.

Daß die Lokalität ihres Kibbuz international umstritten ist, war für Marianna nie ein Thema. „Darüber haben wir nicht einmal nachgedacht.“ Sie bezeichnet sich selbst als unpolitisch, und die Wahl ihres Wohnsitzes hatte weder politische noch religiöse Gründe. „Es war“, erzählt die 32jährige, „eine Frage des Lebensstils.“

Anders als in der Westbank oder im Gaza-Streifen, ist die Besatzung im Golan nicht täglich im Bewußtsein der SiedlerInnen. Die wenigen Drusen leben völlig getrennt von ihnen, und Konfrontationen sind selten. „Hier fahren alle Autos mit den gleichen Nummernschildern, und es gibt keine Soldaten auf den Dächern“, beschreibt Marianna die relative Ruhe.

Israelische Soldaten gibt es zwar zuhauf im Golan, die sind aber heute meist zur Sicherung der Grenze eingesetzt. Während die andersfarbigen Nummernschilder der PalästinenserInnen in der Westbank oder im Gaza-Streifen die SiedlerInnen immer wieder an die arabische Nachbarschaft erinnern, fahren die AraberInnen im Golan mit gelben israelischen Nummernschildern an den Siedlungen vorbei. Die eiheitliche Registrierung der Autos ist eine Folge der israelischen Annexion des Golan im Jahr 1981.

Miada dagegen hat die Besatzung des Golan an keinem Tag ihres Lebens vergessen. Sie war fünf Jahre alt, als die Dorfbewohner gegen die Annexion in einen Streik traten. Miadas Dorf wurde zur geschlossenen Militärzone erklärt, und 14.000 israelische Soldaten, mehr als die gesamte arabische Bevölkerung in den Dörfern, gingen damals von Haus zu Haus, um die israelischen Personalausweise zwangsweise auszuhändigen. In den nächsten Tagen waren die Dorfstraßen übersät mit weggeworfenen Ausweisen. Bis heute sind die meisten Bewohner der Dörfer nach amtlicher israelischer Definition „nicht eingebürgerte Einwohner Israels“.

Später wurde Miada nach einem speziell für die Drusen ausgearbeiteten israelischen Lehrplan unterrichtet. Der Unterricht sollte ihre drusische Identität fördern und die syrische vergessen machen. Oft hatte sie nur wenig qualifizierte Lehrer, da viele der im Widerstand gegen die Besatzung aktiven Pädagogen von der israelischen Schulverwaltung entlassen und durch schlechtausgebildetes Personal ersetzt wurden.

Miadas Kontakt zu Israelis ist bis heute sehr begrenzt geblieben. Ein- bis zweimal im Monat fährt sie mit ihrer Familie oder Freunden nach Haifa oder nach Tel Aviv. Ein paar Israelis kennt sie flüchtig aus einem Restaurant, in dem sie kurzzeitig gearbeitet hat. In ihrem ganzen Leben hat sie kein einziges Mal einen Fuß in eine der benachbarten israelischen Siedlungen gesetzt.

Doch der israelische Lebensstil ist an den drusischen Jugendlichen im Dorf nicht spurlos vorübergegangen. „Wir würden lügen, wenn wir sagen würden, daß wir nicht von israelischer Kultur beeinflußt sind“, sagt Miada. Manchmal gebe es heute Streit zwischen konservativen Eltern oder religiösen Oberhäuptern und den Jugendlichen. Konfliktpunkte seien beispielsweise Rock- oder Haarlängen. „Aber wir hören nicht auf sie“, grinst Miada.

Gelegentlich fragen sich die Jugendlichen auch, ob syrische Strände, Cafés und das Nachtleben in Damaskus das in Haifa und Jerusalem ersetzen können. Aber „insgesamt“, glaubt Miada, „werde ich in Syrien mehr persönliche Freiheiten haben als in Israel. Die Älteren haben mehr Vertrauen in ihre eigene syrische Gesellschaft und werden uns dort mehr Freiheiten lassen.“ Während so manche drusische Eltern zustimmen, daß die Tochter an einer syrischen Universität studiert, wird ein Studium in Tel Aviv oder Haifa von den meisten abgelehnt. Tief sitzen die Angst vor und die Abneigung gegen den „schlechten Einfluß“ der israelischen Kultur.

„Bis heute diskutieren wir eigentlich selten über den Friedensprozeß“, erzählt die Siedlerin Marianna. „Wir arbeiten einfach weiter im Kibbuz, so, als sei nichts Besonderes im Gange.“ Über den Tag X, an dem die israelisch-syrischen Verhandlungen abgeschlossen sein werden, gibt es unter den Siedlern keine einheitliche Meinung. Manche BewohnerInnen Ortals organisieren Kampagnen gegen die Rückgabe des Golan. „Seit wir oben und die Syrer unten sind, haben wir keine Probleme mehr mit ihnen gehabt. Warum sollen wir ihnen den Golan zurückgeben?“ fragt der in Buffalo, USA geborene Steve Applebaum. Seit zwölf Jahren züchtet der Psychologe und Ethnologe in Ortal Apfelbäume. Andere dagegen sprechen offen über die von der israelischen Regierung erwarteten Kompensationszahlungen.

Es würde ihr schwerfallen, den Kibbuz zu verlassen, sagt Marianna. Wahrscheinlich würde sie bei einem Abzug der israelischen Truppen in einen anderen Kibbuz ziehen, vielleicht sogar in jenen, aus dem ihr Mann kommt und in dem es ihr zu heiß war. Keinesfalls will sie zurück in die Stadt. Der idyllische Kibbuz auf dem Golan wird für sie immer etwas Besonderes bleiben. „Ortal ist einmalig“, sagt sie nachdenklich, „besonders im Winter, wenn der Schnee fällt.“

Israel, so glaubt Miada, wird den Golan innerhalb der nächsten fünf Jahre an Syrien zurückgeben. „Diese Jahre werden für mich wie ein Monat vorbeifliegen.“ Wenn ihr Dorf syrisch sei, werde sie weitersehen. „Ich würde gerne als erstes mit einem syrischen Paß in der Tasche verreisen, zunächst einmal nach Ägypten. Ich war noch nie irgendwo anders als im Golan und in Israel“, erzählt sie. Dann möchte Miada aus dem Golan wegziehen, heraus aus der dörflichen Enge und in der Großstadt Damaskus ein von ihren Eltern unabhängiges Leben beginnen.

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