iAnfang vom Ende des Cali-Kartells"

■ Kolumbiens Präsident Ernesto Samper über den Kampf gegen die Drogen, die Zerschlagung des Kokainkartells von Cali und die Chancen, mit den verschiedenen Guerilla-Organisationen ein Friedensabkommen ausz

Als am 9. Juni die Ergreifung von Gilberto Rodriguez Orejuela gemeldet wurde, dem Chef des Drogenkartells von Cali, da konnte Präsident Ernesto Samper Pizano erleichtert aufatmen. Der 44jährige Ökonom, der erst im vergangenen Jahr zum Präsidenten gewählt wurde, konnte endlich einmal einen Erfolg aufweisen. Seither ist auch José Santacruz Londoño, der dritte Mann in der Hierarchie der Kokainmafia, gefaßt worden, drei weitere führende Mitglieder haben sich unter dem Druck von Armee und Polizei freiwillig gestellt.

taz: Einige der wichtigsten Chefs des Cali-Kartells sind in den letzten Wochen verhaftet worden. Und jetzt?

Ernesto Samper: Jetzt kann keiner mehr an der Entschlossenheit meiner Regierung zweifeln. Die Festnahme des sichtbaren Kopfes des Kartells, Gilberto Rodriguez Orejuela, war der Anfang vom Ende des Cali-Kartells. Ich habe Besseres zu tun, als die Köpfe von Drogenhändlern zu sammeln. Aber wir müssen den Einfluß des Drogenhandels in der Gesellschaft und in der Wirtschaft zurückdrängen. Dazu tragen die Verhaftungen genauso bei wie die Ausrottung der verbotenen Pflanzungen, die Einführung von Alternativen zum Coka-Anbau, die Maßnahmen gegen Geldwäsche.

Ihr Verteidigungsminister hat zugegeben, daß längst eine Unzahl kleiner Kartelle entstanden ist. Was weiß die Regierung darüber?

Es sind Ableger des Cali-Kartells. Wir werden verhindern, daß sich das Phänomen ausbreitet wie Metastasen.

Ist das nicht schon längst passiert?

Nicht auf einem Niveau, das dem des Cali-Kartells vergleichbar wäre. Noch sind es kleine Mafias, die gelegentlich Drogen verschiffen, aber nicht über ein permanentes Transportnetz verfügen. Wir versuchen sie zu zerschlagen, bevor diese Kartelle wachsen und sich konsolidieren können.

Gehen nicht die Marktanteile, über die das Kartell von Cali die Kontrolle verliert, fast automatisch auf andere über?

Ich bin da nicht so sicher. Der Preis der Coca-Paste, aus der das Kokain gewonnen wird, ist von 1.200 US-Dollar zu Jahresbeginn auf 430 Dollar abgesackt. Wenn die große Nachfrage des Cali-Kartells einfach von anderen übernommen worden wäre, hätte sich der Preis gehalten.

Viele sagen, die Verhaftung Rodriguez Orejuelas habe Ihre Präsidentschaft gerettet. Haben sie recht?

Ich bin imstande, mein Volk in Würde zu vertreten – genau wie vorher. Bloß habe ich jetzt mehr Spielraum, um international für Unterstützung zu werben, weil der Drogenhandel eben ein internationales Problem ist.

Wäre Ihr Vorgänger César Gaviria heute Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten, wenn er Pablo Escobar nicht zur Strecke gebracht hätte?

Sicher nicht.

Zweites wichtiges Thema Ihrer Regierung ist der Friedensschluß mit den verschiedenen Guerilla- Gruppen. Wie steht es damit? Die Guerilla lebt teilweise von Kidnapping und Schutzgeldern für die Drogenhändler. Ist sie wirklich an einem Abkommen interessiert?

Es sind alle Bedingungen gegeben, damit die Guerilla in den Friedensprozeß einsteigt. Wir haben einen Frieden mit den folgenden Elementen angeboten: Zuerst müssen wir uns über die Humanisierung des Konflikts einigen – wenn wir schon nicht imstande sind, den Krieg zu beenden, so sollten wir doch vermeiden, daß mehr unschuldige Menschen dem Krieg zum Opfer fallen: Ich meine die Campesinos, die von selbstgebastelten Minen verstümmelt werden, die Verschwundenen, die Gefolterten, die Gekidnappten. Auch die ständigen Attentate gegen die Ölpipelines müssen unter diesem Punkt behandelt werden. Zweitens sind wir bereit, den Frieden mitten im Krieg auszuhandeln. Man kann als Vorbedingung für die Beendigung des Krieges nicht verlangen, daß es keinen Krieg mehr gibt. Drittens habe ich den Aufständischen für den Fall der Entmilitarisierung Garantien für Leben und die Eingliederung in die Gesellschaft angeboten. Sehr weitreichende Garantien, die mich einiges Kopfzerbrechen mit der Stahlhelmfraktion der Streitkräfte gekostet haben.

So sehr, daß Sie vor ein paar Tagen gegenüber den Militärs erst einmal klargestellt haben: „Hier befehle ich!“

Ich mußte wohl meine konstitutionelle Autorität einmal bekräftigen, und da habe ich eben gesagt: „Hier befehle ich!“ So wie manchmal häusliche Konflikte mit klaren Worten gelöst werden müssen, so passiert es manchmal auch auf Staatsebene.

Kann das Problem der Gewalt einfach durch einen Vertrag mit den beiden Guerillas FARC und ELN bereinigt werden, oder muß man gleichzeitig auch mit den Milizen und den rechten Paramilitärs verhandeln?

Das Abkommen muß integral sein, also muß man auch die Paramilitärs einbeziehen. Aber die Lösung muß da ganz anders aussehen, weil die Paramilitärs keine subversive Strategie gegen das demokratische System verfolgen.

Offensichtlich macht die Armee Schwierigkeiten, was die Entmilitarisierung der für die Verhandlungen vorgesehenen Zone Uribe betrifft. Laufen Sie nicht Gefahr, ein Abkommen zu unterschreiben, das nachher sabotiert wird?

Ich glaube nicht. Wir sind in ständigem Kontakt mit dem Generalstab. Die hohen Militärs haben die militärstrategischen Begründungen der verschiedenen Formeln von Anfang an gekannt.

Sie haben als Präsident noch etwas mehr als drei Jahre. Wie sieht der Fahrplan für den Frieden aus?

Wir haben mit der Vorstellung unseres Vorschlags begonnen, das war eine Sondierungsphase. Dann begann die Etappe der Vorbereitung der Verhandlungen. Jetzt haben wir die Etappe der Friedensverhandlungen eröffnet. Ich hoffe auf eine klare Antwort der aufständischen Gruppen, ob sie den Frieden wollen. Sobald diese vorliegt, sind wir bereit, uns hinzusetzen und zu verhandeln. Interview: Ralf Leonhard, Bogotá