„Die Angeklagten sind die Täter“

■ Im Solinger Mordprozeß hielten die Staatsanwälte gestern ihre Plädoyers und kritisierten Presse und Bevölkerung

Düsseldorf (taz) – „Wir sind am Ende der sehr schwierigen Beweisaufnahme“, verkündete Wolfgang Steffen, Vorsitzender des 6. Strafsenats des Düsseldorfer Oberlandesgerichts, gestern. Genau 111 Tage hatte das Gericht für die Beweisaufnahme im Solinger Mordprozeß gebraucht. Die Bundesanwälte Dirk Fernholz und Thomas Beck konnte ihre Plädoyers halten. Allerdings reichte das vorgesehene Zeitmaß nicht aus, heute werden die Oberstaatsanwälte ihre Schlußvorträge fortsetzen und aller Voraussicht nach mit den Strafanträgen gegen die vier Angeklagten enden.

Wie hoch sie ausfallen mögen, blieb gestern noch offen, daß die Staatsanwälte auf schuldig plädieren werden, daran ließen sie keinen Zweifel. Gleich zu Beginn sprach Fernholz von der „unzutreffenden Alleintäterversion“, die seit dem Geständniswiderruf von Markus Gatmann im Zentrum der Verteidigung gestanden hatte. In den Augen der Bundesanwaltschaft hat dieses Geständnis trotz des Widerrufs nichts von seiner Glaubwürdigkeit verloren. Zusammen mit den verschiedenen Teilgeständnissen des Angeklagten Christian R. und den weiteren Indizien lasse die Beweislage nach den Worten von Beck insgesamt „nur den Schluß zu, daß die Angeklagten die Täter von Solingen sind“.

Vor der detaillierten Beweiswürdigung kritisierte Bundesanwalt Fernholz die Medien. Teilweise habe sich die Presse „in höchst unseriöser Weise“ zum Sprachrohr einiger Verteidiger machen lassen und deren Prozeßführung gestützt.

In Solingen selbst würden „bis heute substanzlose Spekulationen in die Welt gesetzt“. Als „peinlichen Höhepunkt“ nannte Fernholz dabei das hinterhältige Gerücht, die Familie Genç habe ihr Haus selbst in Brand gesetzt. Aus der „brodelnden Gerüchteküche“ hätten sich viele Solinger offenbar gerne bedient, „um die Stadt von einem gewissen Makel zu befreien“. Es übersteige offenbar die Vorstellungskraft vieler, insbesondere den Arztsohn Felix K., dessen Eltern in der Friedens-, Ökologie- und Antirassismusbewegung aktiv waren, als einen der Täter zu sehen.

Vielen falle es offenbar schwer, sich der Tatsache zu stellen, daß Ausländerhaß und Rassismus nicht auf Personen aus der organisierten rechtsradikalen Szene beschränkt seien. Bei dem Solinger Mordprozeß habe es im Gegensatz zu allen öffentlichen Spekulationen „zu keinem Zeitpunkt einen konkreten Tatverdacht“ in dieser Richtung gegeben. Das gelte auch für die Kampfsportschule „Hak- Pao“, bei der drei der vier Angeklagten zeitweise trainiert hatten und deren Leiter ein V-Mann des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes war.

Fernholz räumte „tatsächliche Ermittlungsversäumnisse und Pannen“ ein, aber insgesamt beruhe die „Mär von den gravierenden Ermittlungsfehlern“ vor allem darauf, daß „Belanglosigkeiten hochgepuscht wurden“. Als Beispiel für eine tatsächliche Panne brachte Oberstaatsanwalt Beck das Verhalten des Brandsachverständigen Corall bei der Spurensicherung vor. Dadurch sei wahrscheinlich die mögliche Bestimmung der chemischen Zusammensetzung des Brandbeschleunigers verhindert worden. Für die Überführung der Angeklagten spielte diese Panne „aber keine Rolle“.

In Zusammenhang mit der Vernehmung der Angeklagten durch die Beamten der Wuppertaler Polizei sprach Fernholz ebenfalls von „erheblichen Unzulänglichkeiten“. Doch auch diesen „Pannen“ maß er letztendlich für die Überführung der Angeklagten kein sonderliches Gewicht bei.

Die Täter des Brandanschlags hätten der getroffenen Familie Genç „unermeßliches Leid“ zugefügt und mit ihrer Tat ein Datum markiert, „daß aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht getilgt werden kann und nicht getilgt werden darf“, sagte der Staatsanwalt. Walter Jakobs