Zu späte Genugtuung für Havemann

Die Richter und Staatsanwälte, die den DDR-Wissenschaftler Robert Havemann unter Hausarrest stellten, weisen jede Schuld von sich und schweigen in ihrem Prozeß  ■ Aus Frankfurt (Oder) Julia Albrecht

Robert Havemann durfte die letzten sechs Jahre seines Lebens sein Grundstück kaum noch verlassen. Für diese und andere Maßnahmen gegen den Regimekritiker sitzen seit gestern sieben RichterInnen und StaatsanwältInnen wegen des Vorwurfs der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung in Frankfurt (Oder) auf der Anklagebank. Dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft begegnen die Angeklagten mit Schweigen. Die ehemalige Richterin Sigrid Hucke sagte am ersten Verhandlungstag: „Ich werde schweigen, da ich schlechte Erfahrungen mit der Justiz gemacht habe.“ Das klingt sonderlich, angesichts des Vorwurfs, sie selbst habe zum Nachteil Havemanns das Recht gebeugt.

Im Mittelpunkt des jetzigen Prozesses wird ein Verfahren gegen Robert Havemann stehen, das im November 1976 vor dem Kreisgericht Fürstenwalde unter Mithilfe des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) inszeniert worden war. Damals soll der angeklagte ehemalige Staatsanwalt Wilhelm Pilz beantragt haben, den Wissenschaftler Robert Havemann mit einem Hausarrest für sein Grundstück in Grünheide bei Berlin zu belegen. Nach einer nur 30minütigen Verhandlung hätten die damaligen Richter Peter Schmidt, Hans Günther Grutza und Richterin Elfriede Kersing dem Antrag entsprochen. Sie urteilten, Havemann habe gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung verstoßen. „Ein reiner Willkürakt“, meint die Staatsanwaltschaft, „ohne Orientierung an Gerechtigkeit, sondern allein zur Ausschaltung des politischen Gegners.“ Das gesamte Verfahren sei bis ins Detail vom MfS konzipiert worden. Von den „wörtlich vorformulierten“ Anträgen, die der damalige Staatsanwalt stellte, bis zum Urteilsspruch: „alles war vorher festgelegt worden“, heißt es in der Anklageschrift.

Unmittelbar vor seinem damaligen Prozeß hatte der kritische Sozialist Havemann den geballten Zorn der Oberen auf sich gezogen. Nach Wolf Biermanns Ausbürgerung im Jahr 1976 war es ihm trotz permanenter Überwachung gelungen, einen Artikel im Spiegel zu lancieren, der Biermann in Schutz nahm. Biermann habe nicht den Sozialismus kritisiert, sondern dessen Handhabung. Eine Woche später veröffentlichte Havemann an gleicher Stelle einen offenen Brief an Erich Honecker, in dem er Biermanns Rückkehr forderte.

1979 wurde Havemann ein zweites Mal verurteilt. Die körperliche Isolierung sollte nun „geistig, durch den Entzug seiner Arbeitsmittel“, verstärkt werden. Unter dem Vorwand, er habe Devisenvergehen begangen, wurde ihm nahezu seine gesamte Bibliothek beschlagnahmt. Im Prozeß wurde ihm eine Geldbuße in Höhe von 10.000 DDR-Mark auferlegt. Seine Berufung hatte, wie auch bei dem früheren Prozeß, keinen Erfolg.

Havemanns Witwe Katja, die für den zweiten Prozeßtag am 24. Juli als Zeugin geladen ist, wertet das Verfahren gegen die ehemaligen DDR-Juristen als Lehrstück. „Es wird eingehen in die Geschichte, und nachfolgende Generationen werden daraus lernen.“ Die versammelten Verteidiger der Angeklagten sehen das anders. In ihrer „Erklärung“ heißt es: „Es ist nicht Aufgabe von Strafverfahren, geschichtliche Vorgänge aufzuarbeiten.“

Noch ein anderes Thema sprechen die Anwälte an. Sie erinnern an die mißglückte Ahndung der NS-Richter. An die ungezählten Freisprüche von Richtern, die seinerzeit bewußt Recht gebeugt und Todesurteile ausgesprochen hatten. Und sie äußern Zweifel an der Methode, mit der die „bundesdeutsche Justiz“ heute DDR-Juristen verfolgt. Gleichwohl räumen sie ein, daß sich der Vergleich von DDR-Justiz mit NS-Justiz verbiete. „Die Frage drängt sich auf, ob hier mit zweierlei Maß gemessen wird.“ Staatsanwalt Jan van Rossum gibt zu, daß die Aufarbeitung des Nationalsozialismus mißlungen ist. „Das ist aber kein Argument gegen die Aufarbeitung des DDR-Unrechts.“