Bremer Dörfer ohne Häuptling

■ Beamtenrecht versus Beirätegesetz macht lokale Verwaltungen kopflos

Etwas stinkt in Seehausen. Und das liegt nicht an der Nähe zum Klärwerk, das man hier brav erduldet. Als eine Bremensie der besonderen Art bezeichnet Jochen Himmelskamp den Umstand, daß sein Dorf derzeit ohne „echten Ortsamtsleiter“ dasteht. Der Beiratssprecher hat den direkten Kontakt zur Dienstaufsicht im Innenressort zu suchen, will er sich mit der Verwaltung koordinieren. Die Amtsstube an der Seehauser Landstraße ist führungslos, seitdem „Bürgermeister“ Hermann Tietjen eine Zwangspause einlegte.

Jens Knudtsen ist an der Contre-scarpe mit der Betreuung der Ortsämter befaßt und leitet jetzt kommissarisch auch noch die Sitzungen der Lokalvertretungen in Seehausen und Strom. Zu dieser Ehre gelangte der Amtsmann durch Unstimmigkeiten zwischen geltendem Beirätegesetz und Ausführungen nach dem Beamtenrecht.

Die Wahlperiode Hermann Tietjens, einem von fünf ehrenamtlichen Ortsamtsleitern kleinerer „Provinzen“ der Hansestadt, endete im April diesen Jahres. Für einen Zeitraum von sechs Jahren wählten die Beiräte bis 1989 ihre ehrenamtlich tätigen Verwaltungschefs. Weil vor der Bürgerschafts- und Beirätewahl kein neuer Repräsentant bestellt werden sollte, befreite man den Lehrer von seinem nur durch eine geringe Aufwandsentschädigung honorierten Amt, das er seit 24 Jahren inne hielt. Erst Mitte Juni wurde Tietjen vom neukonstituierten Beirat einstimmig wiedergewählt. Doch mit der Abstimmung vor Ort ist noch lange kein „Dorfbürgermeister“ in Amt und Würden. Dem Vorschlag des Beirates muß die Bestellung durch den Senat folgen. Auf die Tagesordnung einer Kabinettssitzung gelangte die Benennung Hermann Tietjens jedoch noch nicht. Mindestens bis Anfang August hat die Landesregierung wichtigeres zu tun, und Seehausen bleibt kopflos.

Jens Knudtsen hat sich mittlerweile noch mit weiteren Macken im Regulariengeflecht des Beirätewesens auseinanderzusetzen. Das 1989 beschlossene Gesetz setzte die Amtszeit der ehrenamtlichen Ortsamtsleiter von sechs Jahren auf den Zeitraum einer Legislaturperiode herab. Die hauptberuflichen Kollegen der großen Stadtteile hingegen bekommen einen 10 Jahres-Vertrag. Alle Ortsamtsleiter, auch die ehrenamtlichen, werden als Beamte geführt und brauchen eine Ernennungsurkunde. 1991 berief man die Feierabend-Bürgermeister für volle vier Jahre und wurde nun vom vorgezogenen Urnengang überrascht. Nach dem Ortsgesetz über Beiräte und Ortsämter wären in den Bremer Dörfern Blockland, Borgfeld, Oberneuland und Strom die Verwaltungsspitzen mit der Konstituierung der neugewählten Beiräte zu bestimmen gewesen. Ihre Bestellung als „Beamte auf Zeit“ läuft aber noch bis Oktober. Also müssen die meisten Beiräte, die einen ehrenamtlichen Ortsamtsleiter kennen, mit der Neuwahl ihrer Häuptlinge warten. Aber nicht so in Seehausen und Strom. Während in Seehausen der Amtsinhaber schon früher ausschied, trat der Ortsamtsleiter in Strom nach dem Wahldebakel seiner Partei zurück. Dort wo die Ochtum ihr Bett ins Niedersächsische zu erreichen sucht, war die CDU-Beiratsmehrheit gekippt worden. Die Sozis liegen jetzt wieder vorn und schlugen gestern abend mit Fred Mester einen Nachfolger aus den eigenen Reihen für den vorzeitig ausgeschiedenen Ortsamtsleiter Werner Fischer vor.