■ Ein Buch für alle Fälle: die Geschenkbändchenpest
: Die heimlichen Bestseller

Preisverleihungen, Messen oder öffentlichkeitswirksame Schauveranstaltungen wie die Klagenfurter Vorlesestunden könnten einen glauben machen, das literarische Buch sei ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Doch das ist es nur in Ausnahmefällen. Die wirklichen Renner des Marktes sind Geschenk- und Zielgruppenbändchen, lustige Wörterbücher und flott zusammengezimmerte Ratgeber. Ob Geburtstag, Firmenjubiläum oder Krankenbesuch – kein Bevölkerungssegment, für das nicht ein passendes Mitbringsel in Buchform zu finden wäre. Es gibt sie maßgeschneidert für verschiedene Alters- und Berufsgruppen, passend zum Fahrzeugtyp, Sternzeichen oder Familienstand. Je weiter gefaßt die Zielgruppe, um so sicherer der Abverkauf. Aber auch für den männlichen Single ab dreißig, die leidenschaftliche Golfspielerin und selbst den Sammler orientalischer Pfeifenputzer lassen sich passende Schmunzelbücher auftreiben.

Ganze Heerscharen von zumeist unter Pseudonym arbeitenden LohnschreiberInnen sorgen ständig für Nachschub. Auf die Inhalte kommt es dabei nicht an, schließlich wird der Käufer oder die Käuferin das Buch kaum je selber lesen, und der oder die Beschenkte tut es oftmals auch nicht. Darum stört sich auch niemand daran, wenn sich gewisse Inhalte überschneiden und mit Fakten recht freizügig umgegangen wird. Ein Insider berichtet: „Wir haben uns ein Baukastensystem überlegt, so daß wir immer weniger tun mußten. Die ersten vier Bücher haben wir noch so geschrieben, da war ungefähr zwanzig Prozent identisch in allen vieren. Bei den nächsten zweien waren schon fünfzig Prozent identisch und bei den letzten zweien fünfundsiebzig Prozent.“ Den Verlagen derartiger Werke ist es zumeist egal, dort haben Texte einzig den Rang von Füllmasse – „wie es in dem Verlag immer so schön hieß: ,Wir brauchen noch Grauwert auf Seite 25!‘ Ungefähr diesen Wert genießen Texte in dem Umfeld“, so der einschlägig erfahrene, mehrfache Buchautor W., der „über die ständige Suche nach Geldmitteln, ohne viel arbeiten zu müssen“ zu diesem Gewerbe fand.

Nicht selten auch, daß eine bereits bewährte Idee unter anderem Namen noch einem zweiten oder sogar dritten Verlag angetragen wird. Ein paar Textbausteine vertauscht, und schon steht ein neues Werk im Regal. Überdies behalten die Hersteller selbst den Markt ständig im Auge. So brachten seinerzeit gleich mehrere Verlage Manta-Witz-Bücher heraus, nachdem der Heel-Verlag mit einem solchen Kompendium einen Bestseller lanciert hatte. Einer der Nachahmer war der Heyne Taschenbuch Verlag – dessen Lektorat ein ähnliches Buch nur wenige Monate zuvor per Formbrief abgelehnt hatte.

Das ideale Geschenkbändchenmanuskript umfaßt 124 Druckseiten. Das ist preiswert zu produzieren, aber dick genug, um als vollwertiges Buch durchzugehen. Schweres Papier und ein solider Einband tun ein übriges, dem Kunden den Eindruck zu vermitteln, ein wertvolles Präsent erworben zu haben. Ähnliches gilt für viele Lebenshilfe- und Ratgeberbücher, die je nach Themenkonjunktur von zumeist fachfremden, aber recherchetechnisch versierten VerfasserInnen zusammengestellt werden. W., examinierter Germanist und Philosoph, nennt es „Lohnschreiberei“: „Man kriegt ein Thema, einen Auftrag, eine Zeitvorgabe und eine Umfangvorgabe [...] – hier hast du 124 Seiten, und da schreibst du jetzt mal irgendwas rein.“ Notfalls bringt man das Manuskript mit Interviews auf Länge – wer prüft denn schon, ob die Gesprächsprotokolle tatsächlich authentisch sind? H. K.