Italienurlaub auf polnisch

Swinoujscie, zu deutsch Swinemünde, bietet italienischen Flair zwischen realsozialistischen Plattenbauten / Neue Bahnverbindung ab Berlin macht's möglich  ■ Von Gesa Schulz

Drei Wochen Sommerurlaub sind 'ne nette Sache. Weil ich aber weder genug Geld noch ausreichend Urlaubstage dafür gehortet habe, nahm ich eines Samstags ein prima Angebot der Deutschen Bahn AG wahr. Die neue Verbindung Berlin–Swinoujscie (Swinemünde) ersetzt glatt den Jahresurlaub. Und das an einem einzigen Tag.

Morgens um viertel nach sieben geht's los, ausgestattet mit einem „Wochenend-Ticket“ und Zusatzkarte für die polnische Strecke sowie einem Picknickkorb, um die viereinhalbstündige Hinfahrt geistig und körperlich nahrhaft zu gestalten. In Swinoujscie angekommen, teilen sich die Zugreisenden in zwei Gruppen. Die eine Hälfte läßt sich von den wartenden Taxifahrern anlocken „Strand, Promenade, einsteigen, gucken“ heißt das Motto. Ich schließe mich denen an, die mit der Fähre in die Stadt fahren.

Die Innenstadt präsentiert sich typisch realsozialistisch: Der Kosmetikshop wirbt mit schmucklosen Abziehbuchstaben für Produkte der Marke „Lotus“. Im Kinocafé Casablanca belege ich den einzigen Tisch im Freien und plane den weiteren Tagesablauf. Die Wahl fällt zunächst auf einen Abstecher zum Strand. Der Weg dorthin gestaltet sich zu einem Bummel durch unterschiedlichste architektonische und gesellschaftliche Epochen.

Die schon leicht verfallenen Mietshäuser aus den Anfängen des Jahrhunderts verbreiten mit ihren blumenbehangenen, schmiedeeisernen Gittern und den im Wind flatternden Wäscheleinen italienisches Flair. Der real existierende Sozialismus grüßt mit vierstöckigen kastenförmigen Wohnhäusern, an denen nur die Satellitenschüsseln davon zeugen, daß auch Swinoujscie vom Kapitalismus eingeholt worden ist. An Straßenständen können Obst und Gemüse aus privatem Anbau, aber auch Cola, Sonnenbrillen und Mövenpick-Eis erstanden werden. Ein Stück weiter des Weges könnte man glatt vergessen, das der Sozialismus überhaupt einmal existiert haben soll in diesem verschlafenen Ostseenest. Seebadvillen, kunstvoll restauriert oder mit bröckelnder Fassade, reihen sich aneinander. – Um die Zeit wieder vom Ende zum Anfang des Jahrhunderts zu drehen, gehe ich weiter zur Strandpromenade. Dort angekommen, frage ich mich, ob ich unbemerkt bis nach Lorret de Mare gelaufen bin. Auf einem fußballfeldgroßen Areal wird alles verkauft, was den bevorstehenden Strandbesuch noch attraktiver gestalten könnte: Luftmatratzen, Liegestühle, Schwimmringe, Bücher, Badehosen. Begleitet wird der Kaufrausch von einer ohrenbetäubenden Mixtur aus englischen, polnischen und deutschen Discohits, die aus Dutzenden von Boxen wild durcheinander dröhnen.

Nicht nur das Diktat von Fast- food in allen Varianten, auch die Dreisprachigkeit „Piwo – Birra – Bier“ wurde vom Mittelmeer an die Ostsee importiert. Ein gradueller Unterschied trennt den polnischen Strand von seinem mediterranen Pendant: Immerhin bekommt man in Swinoujscie problemlos drei Quadratmeter Liegefläche plus Chancen auf Wasserrutsche, Trampolinspringen und Beach-Volleyball.

An dem Wettkampf um das knalligste Rosa der sonnenentwöhnten Hautpartien mag ich mich nicht beteiligen. Statt dessen lege ich einen weiteren Spaziergang ein, der mich in eine kleine Hafenkneipe unweit des Marktplatzes führt. Hier heißt das Bier ausschließlich Piwo, die Geräuschkulisse beschränkt sich auf das Geplauder einiger älterer Männer am Nebentisch, und als Blickfang bieten sich wahlweise Segelboote oder eine Litfaßsäule mit dem Kulturprogramm der nächsten Wochen an.

Nach diesem kontrastreichen Tagesablauf steht als letzter Programmpunkt Shoppen auf dem Plan: Zigaretten für fünfzehn Mark die Stange gehören unbedingt ins Reisegepäck. Noch ein paar Bier dazu, und die vier Stunden Rückfahrt lassen sich problemlos aushalten. Während die Sonne sich langsam rot färbt und schließlich ganz verschwindet, überlege ich, ob ich in Berlin erzählen werde, ich sei in einer Hafenstadt, einem Touri-Kaff, einer polnischen Kleinstadt, einem Seebad oder auf Butterfahrt gewesen. Dann entscheide ich mich für alles zusammen. Im Jahresurlaub ist so ein Programm schließlich ganz einfach zu bewältigen. Gesa Schulz