Abschiebeknast Kruppstraße ist illegal

■ Verwaltungsgericht Greifswald entscheidet: Haft im Polizeigewahrsam fehlt gesetzliche Grundlage

Die Inhaftierung von Abschiebehäftlingen im Abschiebeknast Kruppstraße ist rechtswidrig. Zu diesem Urteil kam am vergangenen Mittwoch das Verwaltungsgericht Greifswald. Das Gericht hatte über die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs eines in der Tiergartener Kruppstraße einsitzenden Abschiebehäftlings zu entscheiden und gab dem Antrag des abgelehnten Asylbewerbers statt. In der seit gestern vorliegenden schriftlichen Begründung des Beschlusses (Aktenzeichen 2B756/95) heißt es, die Einweisung in die Abschiebehaft sei rechtswidrig, da „für die Art und Weise des Vollzugs der Abschiebungshaft im Polizeigewahrsam keine den verfassungsrechtlichen Anforderungen [...] genügende Rechtsgrundlage ersichtlich ist“. Das Verwaltungsgericht Greifswald hatte über den Fall zu entscheiden, da der Flüchtling aus dem Libanon zunächst in Pasewalk einen Asylantrag gestellt hatte. Nachdem der Antrag im März 1994 abgelehnt wurde, ordnete das Amtsgericht Ueckermünde im Juni 1994 die Abschiebehaft an. Kurz nachdem der untergetauchte Asylbewerber im Juli 1994 in Berlin festgenommen wurde, ordnete seinerseits die Berliner Ausländerbehörde Abschiebehaft an.

Zwar ist die ursprünglich vom Rechtsanwalt des Abschiebehäftlings, Andreas Günzler, eingereichte Klage gegen die Anordnung der Abschiebehaft nach Ansicht der Greifswalder Richter nicht statthaft. Dem Antrag auf aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen die Anordnung wurde mit dem Urteil vom Mittwoch freilich entsprochen.

Der Grund für den Greifswalder Richterspruch ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) von 1972, demzufolge der Freiheitsentzug von Häftlingen nur rechtens sei, wenn dieser durch eine gesetzliche Grundlage geregelt sei. Als Reaktion auf das BVG-Urteil war 1976 das Strafvollzugsgesetz erlassen worden. Das Urteil des Verfassungsgerichts, meinten die Greifswalder Richter, sei aber ohne weiteres auch auf den Vollzug der Abschiebehaft übertragbar. Die Anforderung des BVG, schlossen die Richter nun, werden dort nicht erfüllt, wo die Abschiebehaft, wie in der Kruppstraße, nicht in einer Justizvollzugsanstalt, sondern im „Polizeigewahrsam“ stattfinde. Eine von der Ausländerbehörde bislang geltend gemachte Geschäftsanweisung des Landespolizeidirektors, meinte das Verwaltungsgericht, stelle keine gesetzliche Regelung im Sinne des Verfassungsgerichts dar.

„Wenn man der Greifswalder Entscheidung folgt“, meinte gestern Rechtsanwalt Günzler zur taz, „müßte man die Kruppstraße von heute auf morgen leer räumen.“ Da der Innenverwaltung das Urteil gestern nicht vorlag, war eine Stellungnahme nicht zu bekommen. Die Berliner Ausländerbehörde allerdings hat bereits reagiert und will sich den Fall nun vom Halse schaffen. Ohne einen Pfennig in der Tasche wurde der Asylbewerber gestern aus der Kruppstraße entlassen. Er soll sich nun in Pasewalk der Abschiebungsprozedur unterziehen. Uwe Rada