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Avalon gefunden

Neue Freundin, neue Platte, (fast) alte Performerqualitäten: Van „The Man“ Morrison im Glück  ■ Von Johannes Waechter

Eine Frau steht am Bühnenrand. Mit weißem Gewand und auffälligen Tanzbewegungen stellt sie sicher, daß niemand, der Van Morrisons Auftritt beim Jazzfestival von Montreux besucht, an ihr vorbeisehen kann. Morrison beginnt sein Set mit dem Song „I forgot that love existed“, und es ist klar, wem diese Melodie gewidmet ist. Damit es jedoch auch der letzte Anwesende mitkriegt, schleicht sich die weiße Frau nach dem Ende des Liedes zwischen Vans achtköpfiger Band hindurch, pirscht sich von hinten an – und drückt dem sichtlich überraschten Morrison, der mit schwarzem Hut und dunkler Brille so unnahbar aussieht wie ein Mafiaboß, einen Kuß auf die Wange. Im ersten Moment scheint der Geknutschte ein wenig peinlich berührt, doch dann grinst er zufrieden.

Bei der Frau, die Morrison zu solch ungewohnten Eskapaden der emotionalen Preisgabe verleitet, handelt es sich um Michelle Rocca, die Miß Irland des Jahres 1980 – und die Mrs. Morrison des Jahres 1995. Noch ist die Heirat nicht vollzogen, doch die Verlobung bereits offiziell bekanntgegeben. Normalerweise gerade mal Futter für die Klatschspalten, hat dieser Liebeshändel im Fall Van Morrisons durchaus Effekte auf seine Kunst, war der verschlossene Ire doch schon immer jemand, der seine Suche nach Glück und Sinn unvermittelt – weder durch Konventionen in geordnete Bahnen gelenkt, noch durch Übertreibung entwertet – in Musik gesetzt hat.

„Days Like This“ heißt das Album, das den Zusammenfall von neuer Beziehung und neuer Schaffensphase bezeugt. Auf dem Cover führt Morrison mit Michelle Hunde spazieren, in den Songs schwingt er, gutgelaunt und von den schlimmsten Depressionen gereinigt, irdischem Alltagsglück entgegen – zum Beispiel in „In The Afternoon“, das hauptsächlich aus der Aufforderung „Make love in the afternoon“ besteht. Kein Zweifel: Van Morrisons mystische Phase, in der er, grantelnd und getrieben, nach dem Pfad hinauf und higher ground suchte, ist erst einmal vorbei – das Gassi-Gehen auf dem Cover ist der auffälligste Anker, den Morrison auf „Days Like This“ in den Alltag wirft.

Und doch nur eine Spiegelung der Vergangenheit. 1972 ließ sich Van Morrison schon einmal mit Ehefrau und Haustier – damals war es ein Pferd – auf einer Plattenhülle abbilden. Die Frau hieß Janet Planet, die Platte „Tupelo Honey“, und sie war voller schmissiger Soulsongs mit Folkeinschlag, die das Landleben priesen und Janet wunderbare Komplimente machten. „Tupelo Honey“, seitdem von vielen Künstlern gecovert, ist immer noch eines der schönsten Liebeslieder aller Zeiten, doch die honigsüße Liebe zwischen Van und Janet endete im Zerwürfnis. Es wird kolportiert, daß er ihr in bester Vati-Manier verbot, sich mit Freunden zu treffen oder anderweitig zu amüsieren. Also ging sie und nahm die gemeinsame Tochter Shana mit.

Mit der Trennung von Janet Planet begann Morrisons fast zwanzig Jahre währende Pilgerfahrt into the mystery. Unzufrieden mit seinem bisherigen Themenspektrum und für die normale Popschiene sowieso verloren, suchte er sein Heil in allem möglichen, nur nicht in zwischenmenschlichen Beziehungen.

Klassische englische Dichter wie Yeats, Shelley und John Donne waren ihm vorübergehend Trost und Inspiration; die Religion bot eine Zeitlang einen Ausweg – mit „Into The Music“ nahm er ein hervorragendes Gospelalbum auf; er studierte keltische Mystik und suchte nach dem Avalon, Avalon of the heart; selbst auf Scharlatane fiel er herein: Auf seiner 83er LP „Inarticulate Speech Of The Heart“ dankte er dem Oberscientologen L. Ron Hubbard, und seine 87er LP „Poetic Champions Compose“ ist teilweise von den anthroposophischen Lehren Rudolf Steiners beeinflußt.

So vielfältig und teilweise irrig diese spirituelle Suche auch gewesen sein mag, durch Morrisons Musik wurde sie immer zusammengehalten und sinnfällig. „The Healing Power Of Music“ – so das Konzept, dem er die ganzen Jahre anhing, zu dem er 1987 sogar ein parawissenschaftliches Symposion präsentierte. Gleichzeitig fand er jedoch all die Jahre lang immer dieselben Auswege – Mystik, Spiritualität, Naturbetrachtung, „heilige“ Musik –, so daß man gegen Ende der Achtziger durchaus eine gewisse Stagnation des Morrisonschen Weltbildes konstatieren durfte.

Den Ausweg aus dieser Sackgasse bot seine Rückbesinnung auf die Musiktradition. Das 88er Album „Irish Heartbeat“, aufgenommen zusammen mit den Chieftains, fühlte mit einem Ausflug in den Irish Folk vor. Letztlich war es jedoch die Rückbesinnung auf die Jazz-, Blues- und Soulsounds seiner Jugend, die Morrison wieder Bodenhaftung verlieh. Live begann er Anfang der Neunziger verstärkt Songs von Ray Charles, Bobby „Blue“ Bland, James Brown und anderen Soulmeistern zu covern – mit der Folge, daß auch seine eigenen Stücke wieder alltäglicher wurden. Bestes Beispiel von „Days Like This“ ist „Songwriter“, eine Beschreibung seines Berufs, deren mystischer Gehalt gegen null tendiert.

Was an spiritueller Raffinesse heruntergekocht wurde, hat Van Morrison – vor allem bei Konzerten – an musikalischer Raffinesse dazugewonnen. Schon immer ein allumfassender Performer, dessen Auftritte Höhepunkte erreichen können, wie man sie nur aus der Soul- und Gospelmusik kennt, hat er seine Live-Arbeit in den letzten Jahren auf beeindruckende Weise verfeinert – die letztjährige Doppel-CD „A Night In San Francisco“ beweist dies 150 Minuten lang. Nicht länger damit zufrieden, eigene und fremde Songs nur aneinanderzureihen, baut Morrison ein nunanciert groovendes Kontinuum, in dem er all die Stücke, die ihn wichtig sind, zu einem großangelegten Remix musikalischer Möglichkeiten verschmilzt. Unterstützt wird er dabei von einer Band, die an guten Tagen mit der Präzision und Feinfühligkeit von James Browns großem Funkorchester der sechziger Jahre zu Werke geht.

Auch in Montreux erweist er James Brown mit einer Coverversion von „It's A Man's World“ Tribut. Außerdem werden zwei Songs von Bobby Bland und „Baby What You Want Me To Do“ von Jimmy Reed gecovert. Neben diesen Ausflügen dann hauptsächlich Songs des neuen Albums. Der Funke will diesmal jedoch nicht so recht überspringen. Morrison fummelt genervt an seine Notenblättern, die Band agiert derweil so lustlos, daß man wünscht, er hätte von James Brown auch die Gewohnheit übernommen, seine Musiker bei schlechtem Spiel mit Geldstrafen zu belegen – obwohl er an diesem Abend selbst zahlen müßte, so fahrig wie er sein Pensum abspult.

Und doch zeigt gerade das, daß Morrison – neue Schaffensphase hin oder her – auch der Alte geblieben ist: Höhenflüge und Abstürze lagen bei seinen Konzerten schon immer dicht beieinander. Und dann schafft er es doch noch: Zum Höhenflug kommt es in Montreux, als er den Ärger, der sich ob der durchwachsenen Performance angestaut haben mag, an einer signifikanten Stelle an das Publikum zurückgibt. Die Band spielt ein Medley, das mit dem vom Backgroundsänger Brian Kennedy herausgeflöteten „Tupelo Honey“ beginnt und in „Why Must I Always Explain“ vom 91er Album „Hymns To The Silence“ mündet. Seine Musiker mit ausgestreckter Hand ins Pianissimo zwingend brüllt Morrison den Refrain mit ungewohnter Vehemenz heraus: „Why – the fuck – must I always explain.“

Michelle Rocca ist zu diesem Zeitpunkt einige Schritte in die Kulisse verschwunden, nur ihr weißer Rockzipfel ist noch sichtbar. Warum muß ich immer alles erklären, meine Musik erklärt sich denen, die sie wirklich verstehen wollen, doch von selbst?! – singt ihr Zukünftiger auf der Bühne. Sie weiß, daß die Klage für sie nicht gilt. Van „The Man“ Morrison, der am 31. August dieses Jahres fünfzig Jahre alt wird, hat sich Michelle „The Woman“ Rocca mit solcher Lust und Mitteilungsfreude erklärt, daß sie demnächst ein Buch namens „Conversations with Van Morrison“ veröffentlichen wird.

Van Morrison: „Days Like This“ (Polydor).

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