Und es wallet und siedet

Wer zählt die Völker, nennt die Namen? Kein Geringerer als Friedrich Schiller! Der Dichterfürst berichtet live von den Weltjugendsportspielen in Spanien  ■ Von Rüdiger Kind

Ja, einen wunderschönen Tag, meine Damen und Herren zu Hause an den Schalltrichtern, ich melde mich von der Eröffnungszeremonie der diesjährigen Weltjugendsportspiele. Und just in diesem Moment beginnt das große Ereignis, das zum Kampf der Körper und Gestänge, wenn ich das mal etwas salopp ausdrücken darf, auf Spaniens Landesenge der Menschen Stämme froh vereint. Eine unüberschaubare Menge farbenfroh gewandeter, der Körperertüchtigung geweihter Menschen zieht nun ins Stadion ein. Es würde jetzt vielleicht zu weit führen, alle hier einzeln aufzuzählen, denn wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen? Nur soviel sei gesagt: Von Dänemark, von Spaniens Strand, vom deutschen, vom Australierland, von Asiens entlegener Küste, von allen Inseln kamen sie und horchen von dem Schaugerüste der Kapelle grauser Melodie. Und Bank an Bank gedränget sitzen, es brechen fast des Stadions Stützen, herbeigeströmt von fern und nah, der Welten Völker wartend da.

Die Mannschaften nehmen nun Aufstellung im Spalier – alles harrt des Fackelträgers, denn durch diese hohle Gasse muß er kommen! Und da kommt er schon! Es ist Lope de Vega, der spanische Meister im Jambenheben, der, streng und ernst, nach alter Sitte, mit langsam abgemeßnem Schritte hervortritt aus dem Hintergrund, umwandelnd nun des Stadions Rund.

Doch kommen wir zu den Wettkämpfen! In der Rhythmischen Sportgymnastik steht mit der 15jährigen Karin Föhl aus Worms die deutsche Hoffnungsträgerin an der Matte. Sie beginnt ihre Übung furios mit einem dreifach gewirbelten Doppellottel! Siehe, wie schwebenden Schritts im Wellenschwung sich das Mädchen dreht! Den Boden berührt kaum der geflügelte Fuß. Seh' ich flüchtige Schatten, befreit von der Schwere des Leibes? Hüpft der gelehrige Fuß auf des Takts melodischer Woge – säuselndes Saitengetön hebt den ätherischen Leib ... Ja, meine Damen und Herren, man könnte ins Schwärmen geraten, aber ich höre gerade von der Sendezentrale, daß es jetzt gleich zur Entscheidung im Turmspringen der Herren kommt.

Jens Wittig, der deutsche Meister aus Hemmern, den Gürtel wirft er, den Mantel weg und besteigt den ragenden Turm. Und wie er tritt an des Brettes Rand, das Geländer umfaßt die zitternde Hand. Er scheint sich zu fragen: Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp, zu tauchen in diesen Schlund? So steht er wankend auf seines Turmes Zinnen und schaut mit verzagten Sinnen auf das beheizte Becken hin. Doch endlich der Jüngling sich Gott befiehlt, und schon hat ihn die brausende Flut umspült, und geheimnisvoll über dem kühnen Schwimmer schließt sich das Wasser; er zeigt sich nimmer. Und es wallet und siedet und brauset und zischt, wie wenn das Wasser mit Feuer sich mengt, bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt, und Well auf Well sich ohn' Ende drängt. Doch sieh! Aus dem finster flutenden Schoß, da hebet sich's schwanenweiß, und ein Arm und ein glänzender Nacken wird bloß, und es rudert mit Kraft und mit emsigem Fleiß, und er ist's, und atmet lang und atmet tief und begrüßt das himmlische Licht! Ja, meine Damen und Herren, das war ein herrlicher Sprung von Jens Wittig, da ist Gold drin, doch leider muß ich hier abbrechen, denn das Finale der Ruder- Achter geht in die entscheidende Phase!

Germaniens Recken liegen in vorderster Front, dicht bedrängt von Rußlands wackrem Troß! Abgeschlagen sind die Boote anderer Nationen – entmutigt schon sitzt Spaniens Schar im Boot. Zum Kampfe mußt' sie sich bereiten, doch bald ermattet sank die Hand. Fast könnte man meinen, wohl hatte sie der Leier zarte Saiten, doch nie des Ruders Kraft gestemmt!

Zwischen dem Deutschland- Achter und Rußlands edlen Söhnen entspinnt sich ein Kampf auf Biegen und Brechen! Fast scheint es so, daß Kräfte feindlich sich entzweien und blinde Wut die Ruderstange führt; daß sich im Kampfe tobender Parteien die Stimm' des Steuermanns verliert ... Doch nun die letzten Meter, die Schlaggeschwindigkeit wird noch einmal erhöht. – Frisch Gesellen, seid zur Hand, möchte man ihnen zurufen, von der Stirne heiß rinnen muß der Schweiß! Jawohl – sie kömmt, sie kömmt, der Achter stolze Flotte, das Weltmeer wimmert unter ihr! – Und sie haben es vollbracht! Ganz knapp geht Deutschlands Nachen als erster durch das Ziel und holt sich der Medaillen Gold! Augenblick, verweile doch, du bist so schön!

Aber wie so oft wird es dazu nicht kommen, denn ich höre gerade, daß nun der Höhepunkt des heutigen Tages ansteht, der 100-Meter-Lauf der Damen. Vielleicht zuerst noch ein Wort zu den Doping-Skandalen der letzten Zeit: Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle bewahrt die kindlich reine Seele! Ihm dürfen wir nicht rächend nah'n, er wandelt frei der Asche Bahn. Doch wehe, wehe, wer verstohlen der Täuschung schwere Tat verbracht! Soviel dazu, aber nun gehen die schnellsten Frauen der Welt an den Start, schütteln ihre Glieder, hocken sich nieder und graben ihre Stollen in die rote Bahn. Atemlose Spannung liegt über dem Stadion, zum Startschuß hebt sich die Pistole ... Auf die Plätze ... fertig ... Aber was macht denn Britanniens schwarze Perle? Munter fördert sie die Schritte, löst sich aus der andern Mitte ... sie hört allein der Startpistole scharfen Knall. Ein Fehlstart war's ... vielleicht klappt es beim zweiten Mal ...

Auf die Plätze ... fertig ... Und wieder dem Fehlgeläut gefolgt! Dies Mal hört Deutschlands Mädel einen Schuß und zieht daraus den falschen Schluß.

Und wieder hebt der Richter die Pistol – was dreimal währt, wird endlich gut! Schon sieht sich der Läuferinnen Schar in des Feldes Mitte! Doch was ist das? So schreiten keine irdschen Weiber, die zeugete kein sterblich Haus! Es steigt die Leistungskraft der Leiber hoch über Menschliches hinaus! Zu Ende ist der rasche Lauf, eh man's bedacht, mit bloßem Aug ist nicht zu sehen, wes Brust das Zielband erst erreicht!

Ja, meine Damen und Herren, letzte Gewißheit wird hier wohl erst Albrecht Dürers Ziel-Holzschnitt bringen. Bis dahin um Geduld ich bitt zum letzten Male – damit zurück in die Zentrale!