Umweltvorsteher ohne große Auftritte

■ Nach mehr als 21 Jahren an der Spitze des Umweltbundesamts wurde Heinrich Freiherr von Lersner gestern verabschiedet

Berlin (taz) – Umweltministerin Angela Merkel hatte nicht ihren besten Tag. Als die Reporter der Wochenpost sie befragen, wirkte sie müde und ausgebrannt. Nur bei einem Thema war sie plötzlich hellwach: Konfrontiert mit einer kritischen Stellungnahme Heinrich von Lersners zur Klimapolitik giftete sie spitz, der Herr möge seine Interviews künftig besser mit dem Ministerium abstimmen. Die Äußerungen seien ausschließlich die persönliche Meinung des Umweltbundesamt-Chefs.

Es war nicht das erste Mal, daß der Schwabe, der seit 1974 mehr als 21 Jahre lang an der Spitze des Berliner Umweltbundesamtes (UBA) steht, mit seiner Dienstherrin aneinandergerasselt ist. Lersner (65) ist zwar bestimmt kein Rebell, aber von Zeit zu Zeit hat er sich immer wieder getraut. „Wir müssen die Politiker drängen, daß sie nicht nur in Wahlperioden denken“, nennt er das. Das kann man lauter und leiser tun. Unter Lersners Führung hat die Tonlage geschwankt, ist aber immer hörbar geblieben.

Keine Frage: Das Amt am Bismarckplatz ist in der Ära des Freiherrn zu einer umweltpolitischen Institution gewachsen. Wichtige Etappensiege wären ohne die UBA-Leute undenkbar gewesen. Natürlich hätte man sich im legendären Asbest-Streit Ende der 70er Jahre, im späteren Clinch um Formaldehyd oder Dieselruß, um Katalysator und die Entschwefelung der großen Stinker bisweilen energischere Worte gewünscht. Natürlich hat sich auch das UBA allzuoft auf das Zeitspiel der Industrie eingelassen, die wichtige Reformen verschleppte. Doch in Papieren und Gutachten lieferte das Amt wichtige Munition für die öffentliche Debatte, setzte Ministerien und Industrie unter Druck. Kurz: Es wurde zum Öko-Institut der Bundesregierung. Nicht so aufmüpfig und avangardistisch wie das echte in Freiburg, aber engagiert und kompetent.

Die Konstellation war häufig klassisch: Das industrienahe Bundesgesundheitsamt fand etwa den Ruß aus Dieselfahrzeugen unbedenklich, während das UBA Rattenexperimente aus den USA ausgrub, in denen die Dieselabgasen ausgesetzten Tiere an Tumoren krepierten.

Lersner selbst blieb in der umweltpolitischen Debatte immer eine eher unauffällige Figur. Der höchste beamtete Umweltmann der Republik liebte weder spektakuläre Auftritte noch dramatische Statements. Sachlich und zurückhaltend gab er sich, sein Name dürfte selbst manch eingefleischtem Umweltkämpfer kaum bekannt sein. Lersner blieb immer Umweltbeamter, und er wird diese Bezeichnung keinesfalls als Schmach verstehen. Entscheidend für den Erfolg war denn auch nicht die Performance des „Frontman“, sondern die Arbeit der Truppen im Hintergrund. „Lersner“, sagt ein UBA-Mitarbeiter zu seinem Führungsstil, „ist ein alter Liberaler.“ Und weil das auch der finsterste FDPler von sich behauptet, fügt er schnell hinzu: „Aber einer von der echten Sorte.“

Mit dem Tempolimit nervte er Bonn

Hans-Dietrich Genscher hatte den Juristen schon in den 60er Jahren auf die Umweltpolitik angesetzt und ihn 1974 das Berliner UBA gründen lassen. Mit dem Umzug bekam Lersner – das hatte Genscher versprochen – eine Rückfahrkarte nach Bonn. Er hat sie nie eingelöst.

Richtig genervt hat er die Bonner vor allem mit dem Tempolimit. Immer wieder. Da konnte er tatsächlich drastisch werden und die libidinöse Bindung an ein rasendes Stück Blech schon mal mit dem „Fetisch des freien Waffenkaufs in den USA“ vergleichen. Selbst dem Kanzler wurde das zuviel. Als sich Kohl über den Berliner Störenfried empörte und über einen Rausschmiß spekuliert wurde, sammelten die UBA-Leute schon mal Solidaritätsunterschriften.

Im UBA wird es nach dem Abschied des Chefs turbulent. Der ungeliebte Umzug in die Provinz nach Dessau steht an, denn den Aufstand gegen den Standortwechsel haben Lersner und seine Leute nicht riskiert. Auf seinen Nachfolger, den CDU-Mann und bisherigen Stellvertreter Lersners, Andreas Troge (45), darf man gespannt sein. Die Befürchtung, das Amt könnte stromlinienförmiger werden, macht sich aber nicht nur an Troge fest. Auch die kräftigen Einschnitte bei den Forschungsgeldern setzen der Behörde mit ihren 1.300 Mitarbeitern zu.

In einem seiner letzten Interviews hat der UBA-Präsident den gestiegenen Verteidigungshaushalt und den zusammengestrichenen Öko-Etat der Kohl-Regierung als „falsche Prioritätensetzung“ kritisiert – gewohnt sachlich. Fünf Minuten später sagte er, daß „jeder Liter Öl und jedes Kilo Kohle, das wir heute verbrauchen, künftigen Generationen fehlen wird“. Bei jedem anderen hätte das pathetisch geklungen, bei ihm ist es eine nüchterne Feststellung. Aber sie sitzt. Manfred Kriener