Atomdeal soll mit Kittchen enden

Münchner Staatsanwalt fordert hohe Freiheitsstrafen für Nuklearschmuggler / Anwälte: „Unzulässige Tatprovokation“ durch V-Männer und verdeckte Ermittler bestätigt  ■ Aus München Bernd Siegler

„Die Staatsanwaltschaft München hat nicht Strafverfolgung betrieben, sondern Kriminalität geschaffen.“ Für Rechtsanwalt Werner Leitner, Verteidiger des Hauptangeklagten im Münchner Plutoniumprozeß, ist nach elf Verhandlungstagen vor der neunten Strafkammer des Münchner Landgerichts der Fall klar: Der Transport von 363,4 Gramm waffenfähigem Plutonium 239 am 10. August 1994 in einer Lufthansa-Linienmaschine von Moskau nach München war „Ergebnis einer unzulässigen Tatprovokation von V-Leuten des Bundesnachrichtendienstes (BND) und verdeckten Ermittlern des Bayerischen Landeskriminalamtes (LKA)“.

Staatsawalt Werner Fügmann sieht die Sache naturgemäß anders. Wegen vorsätzlichen ungenehmigten Transportes, Einfuhr und Überlassung von Kriegswaffen forderte er für den Kolumbianer Justiniao Torres-Benitez (39) und die Spanier Julio Oroz-Eguia (50) sowie Javier Bengoechea-Arratibel (61) Freiheitsstrafen von sechs, vier und drei Jahren. Die Verteidiger halten für die weitgehend geständigen Angeklagten Strafen zwischen vier Jahren und zehn Monaten sowie zwei Jahre auf Bewährung für angemessen angesichts des erheblichen Tatbeitrages von Geheimdienstlern und Polizei.

Die Münchner Staatsanwaltschaft stellt die Beteiligung von BND und LKA nicht in Abrede, nur der „Rahmen „einer zulässigen Provokation“ sei „nicht überschritten“ worden. Anklagevertreter Fügmann sah im wesentlichen seine Anklageschrift bestätigt. Demnach hätte das in erheblichen finanziellen Nöten befindliche Trio mit dem Plutonium das große Geschäft machen wollen. Die V-Männer „Rafa“, „Roberto“ „Adria“ und „Walter“ hätten sich dagegen nicht strafbar gemacht. Die Ermittlungsbehörden hätten nach „sorgfältiger Prüfung des Risikos verantwortlich gehandelt und frei vagabundierendes Plutonium abgeschöpft“.

Das bestreiten die Verteidiger vehement. Schon bei den ersten Verhandlungen in Madrid im Frühjahr 1994 hätten die BND- und BKA-V-Männer „Rafa“ und „Roberto“ die Finger im Spiel gehabt. Ende Mai 1994 pfiff das BKA „Roberto“ zurück, nachdem klar war, daß das Plutonium sich nicht in Deutschland befinde. Nicht nur für das BKA, sondern auch für den BND und das Bayerische LKA gebe es die klare Anweisung, wonach im Rahmen von Strafverfolgung und Ermittlung grundsätzlich kein radioaktives Material nach Deutschland gelockt werden dürfe. „Als einzige beteiligte Behörde hat sich das BKA rechtsstaatlich verhalten“, resümierte daher Leitner.

Anstelle von „Roberto“ tauchte dann der verdeckte Ermittler des LKA, „Walter Boeden“, als Kaufinteressent auf. Der wußte das Trio mit einer Bonitätserklärung der Bayerischen Hypobank über 276 Millionen Dollar für vier Kilogramm Plutonium und zwei Kilogramm Lithium zu beeindrucken, als Ende Juli 1994 die Angeklagten in München eine erste Probe übergeben hatten. Spätestens dann war, so Leitner, klar, daß das radioaktive Material aus dem Ausland stamme und erst zu einem polizeilichen Zugriff nach München importiert werden müßte. „Spätestens am 25. Juli hätte man zugreifen müssen“, betonte der Anwalt. Was danach geschehen sei, sei ein „strafbares Verhalten der beteiligten Behörde“. Die Anwälte bedauerten, daß eine unzulässige Tatprovokation durch V-Leute in der Bundesrepublik keinen Einstellungsgrund darstellt. Sie kritisierten unisono die dürftige Anklageschrift und daß die Staatsanwaltschaft ihnen und dem Gericht wichtige Akten über die ersten Gespräche von „Roberto“ und „Rafa“ in Madrid sechs Monate lang vorenthalten habe.

Die Anwälte nahmen nicht nur „Rafa“ aufs Korn, sondern auch den verdeckten LKA-Ermittler „Walter Boeden“. Boeden habe erst den Markt für Plutonium geschaffen, dies sei ein „reiner Scheinkäufermarkt“. Je mehr die Beteiligung des LKA beim Plutoniumdeal ans Licht kommt, desto stärker gerät Bayerns Innenminister Günther Beckstein in die Bredouille. Er hat bislang versucht, die Verantwortung ausschließlich auf den BND abzuschieben. Die Urteilsverkündung am Montag könnte daher mehrere Sprengsätze für Beckstein beinhalten.