Gemütliches Beisammensein am Gifteck

■ Alle plauschten am Samstag miteinander: Junkies, Polizisten, alte Damen, Geschäftsleute...

Marco (30) kann die Ostertorschen schon verstehen: „Ich hätte auch keine Lust, über Schnapsleichen zu steigen.“ Eigentlich wohnt der Methadon-Substituierte in Woltmershausen. „Aber ich bin depressiv, da muß ich einfach raus aus der Bude“. Dann geht er zum Sielwalleck. Gerda S. (75) aber will genau dort durch, wo Marco und die anderen stehen. „Die Junkies tun zwar nichts“, sagt sie, „denen kauf ich auch mal Bananen, aber es sind einfach zu viele“. Um die Punks macht sie sowieso einen großen Bogen. Der Punk Stefan (16) mit seinem spitz benieteten Lederhalsband versteht die Angst nicht. Wenn die Geschäftsleute ihn drum bäten, von ihrem Eingang ein Stück weiter weg zu rücken, mache er das. Nur ganz vertreiben lasse er sich nicht. Denn in Bremen Nord, wo er eigentlich wohnt, treffen sich halt nur ältere Punks.

Wem gehören die schmalen Bürgersteige an der Sielwallkreuzung – den Junkies, den Punks, der alten Frau S. oder den Geschäftsleuten? Allen, und das geht sogar gut. Diesen Eindruck mußte jedenfalls gewinnen, wer sich am Samstagvormittag das Gewusel und Geplauder rund um die Kreuzung ansah. Eigentlich hatten einige Geschäftsleute zur „Rückeroberung der Bürgersteige“ geblasen, doch an ihrem Frühstückstisch laben sich zunächst nicht „Normalbürger“, sondern Junkies und Substituierte. Auch Polizeibeamte gesellen sich dazu. „Der ist okay“, zeigt der Methadon-Substituierte Heiko (28) alsbald auf einen Beamten, „der nimmt einem nicht den Löffel mit dem letzten Schuß weg“.

Großer Auflauf auch an der anderen Straßenecke beim Infostand und am Körnerwall beim Frühstück jener Gruppen, die gegen eine Vertreibung der Junkies aus dem Viertel protestieren. Die Polizei befürchtet Konfrontationen und mischt sich deshalb mit zahlreichen Zivilbeamten unters Volks – doch überall wird nur diskutiert. Daß plötzlich ein Junkie und ein Punk aneinandergeraten, habe überhaupt nichts mit der Veranstaltung zu tun, so ein Zivilbeamter.

Selbst Peter Erfurt, Inhaber des Ladens „Be Bop“, der die Bürgersteig-Rückeroberungsaktion angezettelt hat, vertritt in Gesprächen plötzlich liberale Positionen. „Der ist jetzt sogar für die Legalisierung von Drogen, dabei hat er vorher im Weser-Kurier gesagt, daß er den Junkies das Leben so schwer wie möglich machen will“, erzählt Jan Lam vom Anti-Rassismus-Büro. „Der hat wohl Kreide gefressen.“

An der Ecke, wo Peter Erfurt schon wieder in Gespräche verwickelt ist, muß er sich dann auch den Vorwurf „Heuchler“ anhören. Erfurt dagegen: „Ich habe meine Meinung nicht geändert. Ich habe doch nie was dagegen gehabt, wenn Junkies hier rumlaufen, aber dagegen, daß Leute sich wie wilde Sau benehmen und andere Leute anpöbeln.“ Er habe mit dem Drogenbeauftragten gesprochen und angeregt, den Aufenthaltsraum in der Drobs nicht nur drei Stunden täglich zu öffnen, dann wären die Junkies runter von der Straße. Das könne man doch über Spenden finanzieren. „Ich wär' der erste, der 50 Mark in den Topf tut – ob ich das mache, weil ich die Junkies liebe oder wegen meinem Geschäft, ist doch scheißegal.“

Da muß Hucky Heck, der ehemalige Ortsamtsleiter und jetzige Grünen-Sprecher, doch grinsen. „Hier im Viertel wird einer schnell sozialisiert.“ Der Erfurt nämlich, grade mal ein halbes Jahr im Viertel, sei von mehreren Geschäftsleuten kritisch angesprochen worden auf seine Aktion. Eine Bremensie sowas, freut sich Heck, daß die soziale Kontrolle funktioniere, auch zwischen den Geschäftsleuten. Da sage dann auch ein Peter Erfurt irgendwann, daß er für Druckräume sei. Heck, der Flugblätter für die Grünen verteilt, hält aber eher niedrigschwellige Arbeits- und Ausbildungsprogramme für Junkies für notwendig.

Eigentlich kann Hucky Heck die plötzliche Aufregung der Geschäftleute von Be Bop, Piano, Niemeyer Tabakwaren, Steintor 14, Lidopeia, Backhaus und dem Schuh- und Schlüsseldienst am Sielwalleck nicht so recht verstehen: „Es ist doch wirklich besser geworden in den letzten beiden Jahren.“ Seit diversen Runden Tischen würden Polizei und Soziale Dienste miteinander reden, unvorstellbar, daß die Polizei nochmal die Drogenberatungsstelle stürme. Auch hätten die SozialarbeiterInnen jetzt mehr Spielraum. Früher waren sie die einzigen, die die Junkies immer verteidigen mußten. Jetzt könnten sie auch mal Forderungen stellen an die Junkies. Nach dem Motto: „Wir helfen dir zwar, aber nicht zu jeder Bedingung, benimm dich also mal.“ Und nicht zuletzt habe die Bevölkerung ihren Ärger in einer Form artikuliert, mit der man umgehen könne. „Jetzt ist auch den Abhängigen klar geworden, daß sie hier bis zu einer gewissen Grenze toleriert werden, sich aber auch einfügen müssen“, sagt Heck.

Wie solches Sich-Einfügen konkret aussieht, erzählt Almut Daasch (52), Inhaberin des Damenoberbekleidungsgeschäfts „Rehme“ am Sielwalleck. „Wenn ich morgens den Gehsteig kehre, dann helfen mir die Junkies, ein richtig Übereifriger reißt mir den Besen geradezu aus der Hand“. Sie duldet die Junkies vor ihrem Geschäft, dafür müssen die ihren Müll auch wieder zusammensammeln. „Ich komme gut klar mit den Junkies.“ Von Peter Erfurt und seinen Mitstreitern distanziert sie sich. Ach was, Kundeneinbußen, wenn da was war, dann vor zehn Jahren, sagt die Geschäftsfrau.

„Genau“, pflichtet ihre Kundin Magdalene Walther (82) bei, eine echte Ostertorsche, „früher war die Aggressivität bei den Junkies und Punks doch viel größer“. Und wie kommt sie durch die Pulks an den Ecken? „Ach, ich gehe da einfach durch, die machen doch Platz, die kennen mich.“ Genauso bekannt ist Almut Daasch. Wenn sie ein Ortsunkundiger anbettele, sei immer einer da, der dann sagt „Laß das, die wohnt hier, die gibt mir auch mal 'nen Kaffee“.

Sicher, der Schmutz und manchmal die Sprüche, das sei schon herb, meint Almut Daasch. Aber eigentlich gebe es nur eine Gruppe von Leuten an der Kreuzung, die sie wirklich nicht ab kann: „Die Wochenendfieber-Leute aus Diepholz und Osterholz-Scharmbeck, die zuhause bei Muttern die Füße unter den Tisch strecken, weiße Gardinen haben, aber hier in die Ecke pissen.“ cis