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■ Naturwissenschaftler fordern VerantwortungsbewußtseinAuf dem deutschen Auge blind

Wenn WissenschaftlerInnen über den eigenen Tellerrand hinaussehen und die Frage nach der Verantwortbarkeit wissenschaftlichen und politischen Handelns stellen, muß man das zunächst begrüßen. Auch die Initiative der vier Naturwissenschaftlerverbände für einen offenen Brief an Chirac verdient insofern Anerkennung. Die Entscheidung, Atomtests im Südpazifik vorzunehmen, widerspricht dem Streben nach Frieden zwischen den Völkern und dem Geist des Atomwaffensperrvertrages. Es gibt keine überzeugenden Argumente für die Notwendigkeit der Tests.

Der Brief will auch an die Tradition der Göttinger Mahner gegen die deutsche Atombewaffnung anknüpfen. Nicht umsonst hatten die Veranstalter Carl- Friedrich von Weizsäcker mit eingeladen, einen Mann, der in den vierziger Jahren an der deutschen Bombe mitgearbeitet und in den fünfziger Jahren den Göttinger Appell gegen die deutsche Atombewaffnung initiiert hatte. Doch die jetzigen Mahnungen haben einen schalen Beigeschmack. Die WissenschaftlerInnen sind sich einig, daß die geplanten französischen Atomtests ein Affront gegen das Ziel der weltweiten nuklearen Abrüstung sind. Wer von Nichtkernwaffenstaaten den Verzicht auf die Bombe verlange, sollte nicht weiter eigene Bomben testen.

Doch gegen den Geist des Atomwaffensperrvertrages verstoßen derzeit auch die Fachkollegen, deutsche Wissenschaftler. Münchener Atomphysiker wollen in Garching den weltweiten einzigen zivilen Forschungsreaktor mit hochangereichertem Bombenuran betreiben. Jahrelang hat die internationale Forschergemeinde versucht, den gefährlichen Bombenstoff für die Forschung zu ächten. Aber die Münchener Wissenschaftler scheren sich einen feuchten Kehricht um die politischen Auswirkungen ihres Forschungstriebs für das Nichtweiterverbreitungsregime.

Für diesen Skandal findet der Berufsstand in Göttingen keine Worte. Zwei Tage hat man über die fließenden Grenzen ziviler und militärischer Atomtechnik diskutiert, um am Schluß auf Frankreich zu zeigen und den Dreck im eigenen nationalen Hinterhof einfach wegzuschweigen. Wem eine ignorante französische Regierung Sorge macht, die dem Geist des Atomwaffensperrvertrags zuwiderhandelt, dem muß die Arroganz einer Münchener Physikerclique, die den Geist des Atomwaffensperrvertrages souverän ignoriert, erst recht Sorge bereiten.

In dem offenen Brief schreiben die WissenschaftlerInnen, daß atomare Fragen heute keine Fragen mehr sind, die in nationaler Souveränität entschieden werden sollten – schon gar nicht in Souveränität eines größenwahnsinnig gewordenen Forschungsinstituts, hätten sie hinzufügen sollen. Hermann-Josef Tenhagen

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