Zwischen Bruderkrieg und Invasion

Türkische Kampfflugzeuge bombardieren kurdische Dörfer im Nord-Irak / Türkische Soldaten verminen die Grenzregion / Die irakisch-kurdischen Parteien führen Krieg gegeneinander  ■ Aus Amadiye Helen Feinberg

Als Hiwa auf der Skala den Sender der „Patriotischen Union Kurdistans“ (PUK) gefunden hat, ist er bester Dinge. Dschalal Talabanis PUK habe größere Peschmerga- Kontingente aus dem Süden in das Dreiländereck Iran/Irak/Türkei verlegt, erklärt der Taxifahrer. Er hofft, daß die PUK ihre Truppen zur Unterstützung der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) geschickt hat. Die liefert sich in der Grenzregion heftige Gefechte mit der türkischen Armee. Etwa 6.000 türkische Soldaten stehen seit zwei Wochen im Norden des Iraks. Mit diesem zweiten großen Einmarsch seit Jahresbeginn will der türkische Generalstab der PKK angeblich den Garaus machen.

Wie auf einer Perlenschnur reihen sich Hiwas Geschichten vom Widerstand der kurdischen Peschmerga aneinander, die das irakische Regime in den achtziger Jahren mit kleinen Verbänden häufig zum Narren hielten. Für jeden Berg, der das langgestreckte Balisantal Richtung Rawanduz säumt, hat Hiwa eine eigene Legende parat. Je näher jedoch der Talausgang rückt, desto schlechter wird seine Laune. Die Nachrichten vermelden, daß in Irakisch-Kurdistan auch an anderen Fronten gekämpft wird. In dem seit dem Ende des zweiten Golfkriegs de facto autonomen Gebiet schießen Peschmerga der PUK und der „Demokratischen Partei Kurdistans“ (KDP) Massud Barsanis aufeinander. Ein gerade vereinbarter Waffenstillstand zwischen den beiden einflußreichsten irakisch-kurdischen Parteien hat keine 24 Stunden gehalten.

Die türkische Armee ist bis zu vierzig Kilometer auf irakisches Gebiet vorgedrungen. Türkische Flugzeuge bombardieren irakisch- kurdische Dörfer. „Die Soldaten sind mit Fallschirmen abgesprungen und dann verschwunden“, sagt ein Bewohner aus Aghosch. Es ist eines der sechzehn Dörfer an dem etwa hundert Kilometer langen Grenzstreifen, die mehrmals bombardiert wurden.

Türkisblau schlängelt sich der Schena-Fluß durch das östlich von Amediya gelegene Tal. Rot leuchten die Tomaten auf den Feldern. Malerisch liegt das Dorf Sita auf einem Hügel über dem Fluß. Doch die Ruhe trügt. Aus einem Seitental steigt dunkler Rauch auf. Zuerst hat die türkische Luftwaffe das Dorf beschossen und dann die angrenzenden Felder, seitdem ziehen die Flammen wie eine Woge von einem Berg zum nächsten. Die BewohnerInnen von Sita hausen in Zelten an der Hauptstraße. „Wir gehen erst zurück, wenn wirklich wieder Ruhe ist“, sagt der Dorfvorsteher. Zum zweiten Mal innerhalb von nur drei Monaten ist sein Dorf bombardiert worden. Über 4.000 Menschen sind vor den jüngsten türkischen Angriffen geflohen. „Wir gehen nur noch nachts zur Ernte“, sagt eine Bäuerin.

Die Gärten am Schena-Fluß stehen in voller Blüte, die Checkpoints an der holprigen Straße sind verwaist. Die Idylle wird immer gespenstischer, je näher die Grenze rückt. „Dort drüben auf dem Berg sitzen die Türken“, sagt Pirot, ein Bewohner der Region und deutet auf einen der über zweitausend Meter hohen Berge. In annähernd vierzig Dörfern sollen die türkischen Soldaten Brunnen zerstört sowie Obst- und Nußbäume abgesägt haben. „Sie haben eine so große Ladung TNT angebracht, daß das ganze Gebäude in die Luft flog“, sagt Pirot. Der Brunnen mit Bad und Waschstelle sei vor einem Jahr von der Hilfsorganisation „Kinder in Not“ instandgesetzt worden. Mitarbeiter der britischen „Mines Advisory Group“ bestätigen Berichte, wonach türkische Soldaten die Operationsgebiete beim Rückzug verminen. Entlang der Grenze haben die türkischen Soldaten ein dichtes Überwachungssystem installiert. In welche Richtung der Grenze sie jeweils ihre Angriffe richten, läßt sich nicht vorhersehen. Das Getöse der Bomber und Helikopter ist fast täglich auch im zwei Autostunden von der Grenze entfernten Amediya zu hören. Die Bombardements treffen vor allem die Zivilbevölkerung. Ob die türkischen Truppen einen oder mehrere Tage abziehen und dann wiederkommen, ist für die GrenzbewohnerInnen angesichts der täglichen Bedrohung durch Bombenhagel oder Raketenbeschuß zweitrangig. Durch die Zerstörung weiter Teile der Ernte sowie strategisch wichtiger Punkte wie Brücken wird das Leben in den Dörfern unmöglich.

Welchen Schaden die PKK durch die türkischen Angriffe davonträgt, ist unklar. In der Grenzprovinz Dohuk ist sie in den letzten Monaten sogar stärker geworden. „Vor dem Angriff der Türken war die PKK hier nicht zu sehen, jetzt sind sie überall“, sagt der Bürgermeister von Amediya. Konnte die Guerilla zuvor nur im Untergrund agieren, so tritt sie zunehmend in Erscheinung. Es ist ein offenes Geheimnis, daß die PKK mittlerweile in fast allen größeren Städten der Grenzregion Büros eingerichtet hat. Besonders bei der jungen Generation, die von der von Vetternwirtschaft und Stammesstrukturen geprägten KDP genug hat, genießt das sozialrevolutionäre Programm der PKK Zuspruch.

„Es ist ja nicht die PKK, die unsere Dörfer anzündet“, sagt der Dorfvorsteher aus Sita. Mit dem erbarmungslosen Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung hat sich Ankara den Zorn der KurdInnen auf der irakischen Seite der Grenze zugezogen.

Doch weiter südlich in Irakisch- Kurdistan interessiert sich kaum jemand dafür, was an der irakisch- türkischen Staatsgrenze passiert. Aus dem Autoradio ertönen Kampfaufrufe und Aufforderungen an die Peschmerga, sich da oder dort einzufinden. Das Augenmerk der politischen Führungsspitzen gilt dem Gegner im eigenen Land.

Die Laune des Taxifahrers ist bei den Radiomeldungen noch schlechter geworden. „Wir können nicht gegen die Türkei Krieg führen und nicht gegen das Regime in Bagdad“, schimpft er und schaltet das Radio aus. „Das einzige, was wir wirklich können, ist uns gegenseitig umbringen.“