Jagd auf „Roter Oktober“ (Teil II)

Übernahmeschlacht im russischen Süßwarensektor: „Koloss“ will die Konfektfabrik „Roter Oktober“ übernehmen / Übernahmeverfahren läßt Manager um ihre Macht bangen  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Das Süßmaul unter Rußlands privatisierten Unternehmen soll seinerseits geschluckt werden. Vergangene Woche erschienen in allen zentralen russischen Zeitungen Anzeigen, worin das Lebensmittelkombinat „Koloss“ seine Absicht kundtat, 51 Prozent der Aktien der traditionsreichen Konfektfabrik „Roter Oktober“ aufzukaufen.

Die Süßigkeiten vom „Roten Oktober“ sind unverzichtbarer Bestandteil der großen Sowjet- Nostalgie. Jahrzehntelang fehlten sie auf keinem Festtagstisch, und alle Kinder liebten die Bonbons namens „Mischka-Patschtatze“ mit dem dickärschigen Bärchen auf dem Einwickelpapier. Nach diesen Köstlichkeiten langt nun die keineswegs für alle Beteiligten niedliche Pranke des Kapitalismus.

Das Kombinat „Koloss“ beschäftigte sich bisher mit Tiefkühlkost. Es gehört zur selben Finanzgruppe wie die Menatep-Bank. Mit dem Menatep-Kapital ließen sich die Kapazitäten des „Roten Oktober“ gewaltig erweitern und modernisieren. Gedacht ist an ein Netz von Produktionsstätten, das rußlandweit den Kampf gegen Mars und Snickers aufnehmen soll.

Die Firmenleitung des „Roten Oktober“ behauptet, dies auch allein schaffen zu können, und wehrt sich mit Händen und Füßen gegen den Angriff. Da helfen keinerlei Erklärungen von Seiten des „Kolosses“, das bisherige Management beibehalten zu wollen.

Letzte Woche nahm die Schlacht schon dramatische Formen an. „Kolossale“ Agenten versuchten vor den Fabriktoren des „Roten Oktober“, der Belegschaft ihre Aktien abzuluchsen. Währenddessen ertönte über den süßduftenden Förderbändern im Inneren des Werks die Lautsprecheranlage und warnte vor ebensolchen Verkäufen. Letztlich wird der Aktienpreis entscheiden.

Die jetzt stattfindende öffentliche Ausschreibung ist die erste ihrer Art in Osteuropa. In Rußland, wo Unternehmen bisher ihre Besitzer eher unter dem Tisch wechselten, ist man teils schockiert, teils erfreut über die Offenheit des Vorgehens. Fachleute meinen, daß damit frischer Wind in den russischen Unternehmensmief dringen könnte. Ist das Aktieneigentum eines Unternehmens nämlich stark gestreut, können dessen Manager bisher walten, wie sie wollen. Der Gedanke an sogenannte öffentliche Submissionsverfahren aber, macht ihnen Beine und läßt sie auch um die KleinaktionärInnen buhlen. Denn wenn eine außenstehende Finanzgruppe plötzlich die Aktienmehrheit bündelt, gibt es einen neuen Herrn im Hause.

Der Bietende verkündet im Zuge einer solchen Aktion öffentlich seine Absicht, das Aktienmehrheitspaket einer bestimmten Firma zu einem festgesetzten Einheitspreis bis zu einem bestimmten Stichtag zu erwerben. Während der dafür gesetzten Frist können Aktionäre ihre Anteile zur Verfügung stellen, aber auch wieder zurückziehen.

Es gibt Anzeichen dafür, daß der von „Koloss“ gebotene Aktienpreis von 7,50 US-Dollar vielen Aktionären von „Roter Oktober“ zu niedrig erscheint. Falls es beim gegenwärtigen Angebot bliebe, würde der „Koloss“ nur 24 Millionen Dollar für das Mehrheitspaket hinblättern müssen. So hoch ist allein schon der jährliche Gewinn des „Roten Oktober“. Innerhalb der letzten Woche stieg der Preis einer „Roter Oktober“-Aktie an der Moskauer Börse bereits von 5,80 auf 6,70 US-Dollar. Die Manager des „Roten Oktober“ vertrauen nun darauf, daß bis zum Stichtag die Zehndollargrenze erreicht wird und der „Koloss“ nicht zum Zuge kommt.