Sind so dicke Wände

■ hinter denen Bremens Teilzeit-Rocker die Verstärker voll aufdrehen / In 20 Bunkern proben 1000 MusikerInnen

Wer hat schon Lust, RockmusikerInnen Räume zu vermieten! Die sind in der Regel laut, kümmern sich weder um Nachtruhe, noch um Harmonien und – fast noch schlimmer – haben kaum Geld, durch anständige Mietzahlungen Vermieter froh zu stimmen. „Rockmusiker haben keine Lobby und weigern sich, sich vereinsmäßig zu organsieren“, weiß Jo Schlosser, Rockbeauftragter des Kultursenats. Schwierig, für solche Leute, Geld lockerzumachen. Vor 15 Jahren hatten sich Bremens AmateurmusikerInnen bereits zu Wort gemeldet, um Bedarf an Übungsräumen anzumelden. Eine Idee entstand: ungenutzte Bunker zu Übungsräumen umzufunktionieren. Und geriet bald wieder in Vergessenheit. Gründe: siehe oben. Jedenfalls dauerte es lange Jahre, bis sich wieder jemand um die Raum-Bedürfnisse der heimatlosen Rock-, Blues- und Jazzbands in der Stadt kümmerte. 1991 ließ Kultursenatorin, Helga Trüpel, brachliegende Bunker renovieren: elektrische Leitungen wurden verlegt, sanitäre Einrichtungen installiert, Zwischenwände eingezogen oder eingerissen, je nachdem.

Mit einem Etat, der kaum zum Bau einer halben Verkehrsampel reicht, sollten die mehr als 200 Bands in der Stadt eine Zuflucht bekommen: 40.000 Mark jährlich gibt der Senat für die Unterhaltung bzw. Instandsetzung der Bunker aus. „In Frankfurt steht eine halbe Million dafür bereit, und in Hamburg sieht es ähnlich aus“, sagt Schlosser, Verbindungsmann zwischen Bands und Behörde. Jetzt wurde der 20. Bunker übergeben. 30.000 Mark hat die Renovierung gekostet. 140 Bands sind mittlerweile untergebracht, um 1000 MusikerInnen, 80 Gruppen stehen noch auf der Warteliste.

20 Räume in fünf Etagen harren in dem klobigen Quader in der Sebaldsbrücker Ahlringstraße der Beschallung. Querulatorische Anwohner gibt's keine, die Isolierung nach außen ist fast perfekt. Nicht so im Innern. „Wenn in benachbarten Räumen geprobt wird, sind Störungen unvermeidlich. Deshalb sorgen die Bands untereinander mit Teppichen und improvisiertem Isoliermaterial für Abhilfe“, sagt Schlosser. Die Bands haben selbst Türen eingesetzt, um ihr Equipment unter Verschluß zu halten; Eierpappen an Wänden und Decke sorgen für besseren Sound.

Der dringt manchmal – Bunker hin, Bunker her – trotzdem nach außen, und zwar durch die Lüftungsschlitze. Beispiel Georg-Bitter-Weg. Hier, in der Nähe der Erdbeerbrücke, tobt der Verkehr, und 25 Bands holen in ihrem Übungsbunker aus ihren Verstärkern das letzte heraus. „Die Autos sind viel lauter als die Musik, aber gegen den Verkehr können die Anwohner nichts unternehmen, also lassen sie es an uns aus“, kommentiert Jörg Bellmann, Solo-Bluesmusiker und seit zweieinhalb Jahren im Bunker aktiv, die Stimmung in der Nachbarschaft. „Die Schließung stand schon ins Haus, da haben wir die Schallisolierung noch mal verbessert, und jede neue Band im Bunker muß sich erstmal dem Lärmpegel-Test unterziehen“, sagt Bellmann, der erst abends zum Instrument greift und tagsüber, als kaufmännischer Angestellter, mit Zahlen sein Geld verdient.

Sogar in der Rockmusik-Szene herrscht übrigens Mittags- und Nachtruhe. Geübt werden darf von 8-13 und 15-22 Uhr, sonntags nie. Theoretisch wenigstens. Und auch im Georg-Bitter-Weg gehören WCs seit einem Jahr zum Bunker-Standard. Obwohl das für Jörg Bellmann und seine männlichen Kollegen auch vorher kein Problem war: „Da gab es Büsche genug. Und die Frauen haben sich's einfach verkniffen.“

Miete fällt für die Bands nicht an, nur Stromkosten, um die 50 Mark im Monat. Gute Bedingungen also für Bremens Amateurszene, größtenteils MusikerInnen im Nebenerwerb? „Jo Schlosser spendiert auch mal selbst einen alten Teppich. Er setzt sich wirklich für uns ein“, lobt etwa Michael Cahlberg von der Gruppe „Knom Snillor“ den etatschwachen Senatsbeauftragten. „In Bremen fehlt es an Tonstudioförderung, Tourneeunterstützung und festen Veranstaltungsorten“, moniert trotzdem Torsten Brockmann vom Verein Bremer Rockmusiker. „Die Tonträgerindustrie ist schließlich in Deutschland die zweitgrößte nach der Autoindustrie“, behauptet er.

„Wer erstmal einen Leihvertrag mit dem Senat in der Tasche hat, gibt ihn nicht so leicht wieder her“, sagt Jörg Bellmann, der oft auf frei werdende Räume angesprochen wird. Um an die begehrten Räume zu kommen, verzichten viele Bands darauf, sich auf Platz 81 der Warteliste einzureihen – und übernehmen die Bunkerräume kurzerhand untereinander.

Alexander Musik