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: Wenn alles schläft ...

Tatort, ARD, So., 20.15 Uhr

Wohlgerüstet mit Chips und erfrischenden Getränken begab sich unsere Hausgemeinschaft pünktlich zur Tatortzeit vor die Geräte, der nun wohl erfolgenden Spannung harrend. Es begann mit einem exotischen Mord vermittels Blasrohr und Giftpfeil, was heftiges Rätselraten verursachte: Haben wir das bei Agatha Christie gesehen oder bei Edgar Wallace? Es folgte eine Vernissage mit vielen bedeutsamen Blicken, wir lernten eine Verlagsbesitzerin kennen, die aussah, als ob sie ständig vom Friseur käme, und wir begriffen, daß wir durchhalten mußten. Das Wichtige stand wohl noch bevor.

Ein Sektenvertreter mit Pilotenbrille redete auf eine Sekretärin ein, es ging um höhere Daseinsstufen, und langsam drangen wir so zu einer Art Geschichte vor. Die Verlagsbesitzerin hat der Sekte viel Geld gegeben. Wer wissen will, warum, muß Herrn Huby fragen. Wären Sekten so, wie hier dargestellt, kein Mensch würde ihnen auch nur zehn Pfennig spenden.

Als die Verlagsbesitzerin ein schlechtes Gewissen bekam, weil sie den Verlag fast ruiniert hat, fuhr sie mit dem Auto in den Tod. Das war um fünf nach neun, und damit war die Geschichte eigentlich zu Ende. Aber Tatorte dauern mun mal neunzig Minuten, es mußte also nachgereicht werden.

Der Sektenchef in seiner Luxusvilla verstrahlte gähnende Langeweile. Neben mir begann es leise zu schnarchen. Auf den Gatten der verstorbenen Verlagsbesitzerin wurde ein dilettantischer Anschlag verübt. Unsere sonst nachtaktive Katze gähnte laut und ging schlafen. Die Freundin des Kommissars schlich sich in die Sekte ein, wurde eingesperrt und wieder rausgelassen. Im ersten und zweiten Stock machten sie resigniert das Licht aus. Der Geschichte ist schon längst jede Erleuchtung ausgegangen, jetzt wird Rauschgift bemüht. Aus dem vierten Stock ertönen inzwischen Paarungsgeräusche. Das Rauschgift wird in exotischen südamerikanischen Eingeborenenschildern ins Museum geschmuggelt und vom dortigen Sekten-Bösewicht, der wahrscheinlich auch der Mörder mit dem Blasrohr war, in Empfang genommen. Unser Wellensittich drehte sich zur Wand und verpaßte das Ende: Der Bösewicht vergiftet sich selbst mit einem Pfeil und stirbt. Die Sekte darf weiterarbeiten, wird aber vermutlich auch irgendwann sterben – an Langeweile. Ich bin die einzige im ganzen Haus, die noch wach ist – wofür eigentlich? Roswitha Seidel