„Zu langes Warten ist nicht gut für die Stabilität“

■ Jacek Saryusz-Wolski, Bevollmächtigter der polnischen Regierung für die Integration seines Landes in die EU, über die Bedeutung der EU-Reform für die Osterweiterung

taz: Nach der geplanten Osterweiterung muß die EU anders funktionieren als bisher. Ihre innere Reform wird sich also direkt auf Polen als künftiges Mitglied auswirken. Beteiligt sich Polen an der Reformdiskussion?

Saryusz-Wolski: Nein, wir haben ja noch keine Erfahrungen als Mitglied. Somit können wir auch keine Reformvorschläge machen. Außerdem dürfen in dieser Frage ohnehin nur Mitglieder diskutieren. Wir sind auch nicht zu der Reformkonferenz 1996 eingeladen.

Was erhofft sich Polen von der Reform?

Eine möglichst schnelle Einigung. Eine, die die Erweiterung der Union erlaubt.

Warum hat Polen es so eilig?

Das hat der Premierminister Jozef Oleksy schon in Cannes gesagt: „Guter Wein muß reifen, aber wenn er zu lange liegt, wird aus ihm Essig.“ Zu langes Warten ist nicht gut für die Stabilität und den Fortschritt im Bereich der wirtschaftlichen Reformen.

Die Trauben für den polnischen Wein hängen aber noch an den Rebstöcken: Die Landwirtschaft ist immer noch nicht restrukturiert, der Bergbau nicht, die Gesetzesvorschläge zur Reprivatisierung des enteigneten Vermögens sehen „Gutscheine“ als Entschädigung vor ...

Es gibt einige Probleme. Wir bemühen uns, alle Auflagen der EU zu erfüllen. Auf dem Gipfel in Cannes haben wir das sogenannte „Weißbuch“ erhalten: 500 Seiten mit ungefähr 1.000 Regelungen, die auf dem Gesetzeswege zu ändern sind. Einige Arbeiten haben wir bereits von uns aus in Angriff genommen. Die Reprivatisierung gehört zu den schwierigsten Fragen. Auch in Deutschland ist dieses Problem ja nicht von einem Tag auf den anderen gelöst worden.

Wann sollen denn die Verhandlungen mit Polen über den Beitritt beginnen?

Es gibt noch immer keinen Termin. Dabei ist es viel leichter, auf einen Zug aufzuspringen, wenn er gerade erst angefahren ist. Die Lokomotive der EU, die gemeinsame Wirtschafts- und Währungspolitik, rast ja fast schon mit Hochgeschwindigkeit dahin, dann kommt der Waggon mit der gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik und am Ende der Waggon mit der Innen- und Justizpolitik. Der steht sozusagen noch im Bahnhof. Da könnten wir bequem zusteigen und uns allmählich vorarbeiten. Aber wir müssen warten, bis die Passagiere den Zug repariert haben.

Polen tritt immer nur in der Rolle des Fordernden auf: Beitritt zu EU und Nato und alles möglichst schnell. Was bietet Polen eigentlich?

Die Stabilität im Osten. Das ist für die Zukunft Europas unglaublich wichtig. Die Länder in der EU führen keinen Krieg miteinander, die wirtschaftlichen Bindungen zwischen den EU-Staaten führen notwendigerweise zum Frieden. Polen ist erst seit einigen Jahren in der Lage, politisch souveräne Entscheidungen zu treffen. Heute sind wir ein freier und unabhängiger Staat. Was wir bieten? Eine stabile Demokratie, einen Rechtsstaat und eine immer besser funktionierende Marktwirtschaft.

Was wäre denn, wenn sich die Aufnahme Polens in die EU weiter verzögerte?

Das wäre ein schlechtes Zeichen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der derzeitige Enthusiasmus der polnischen Bevölkerung für Europa in Ablehnung umschlägt. Und dann, aber das ist natürlich alles Spekulation, könnte dieses Gebiet Europas destabilisiert werden. Polen soll nicht in einer Grauzone zwischen zwei Großmächten existieren. Die historische Erfahrung zeigt, daß eine solche Lage immer nur zu Krieg führt. Wenn die Wohlstands- und Stabilitätsgrenze an Oder und Neiße gezogen wird, wird die Lage instabil.

Könnte sich die innere Reform der EU negativ auf die Aufnahmeverhandlungen auswirken?

Das ist durchaus denkbar. Es wäre schlecht, wenn die Reform den Aufnahmeprozeß verlangsamt. Wir hoffen, daß Polen noch vor dem Jahr 2000 in die EU aufgenommen wird. Die beste Reform ist die schnellste. Und effektiv sollte sie natürlich sein. Über alles andere läßt sich reden. Interview: Gabriele Lesser