■ Geheimes Gutachten zum Ausbau von Saale und Elbe
: Über die Flüsse die Bahn erledigen

Jeder, der verkehrspolitisch engangiert ist oder auch nur ein bißchen kopfrechnen kann, ist wieder einmal fassungslos über den bundesdeutschen Verkehrsminister. Mathias Wissmann (CDU) will 88 Kilometer der unteren Saale für Güterschiffe mit einem Tiefgang von 2,50 Meter ausbauen, in der Elbe soll bis auf 1,40 Meter Kieltiefe gebaggert werden. In einer geheimgehaltenen Studie wird für das Jahr 2010 die 36fache Fracht auf der Saale prognostiziert wie im letztem Jahr; damit werden Ausgaben von insgesamt knapp 800 Millionen Mark gerechtfertigt.

Daß der Güterverkehr auch zu Wasser in den neuen Ländern sinkt, geht in das Gutachten nicht ein. Herr Wissmann gehört deshalb natürlich nicht zu den Förderern des umweltfreundlichen Verkehrs. Er betreibt vielmehr wieder einmal dreist die Sache der Betonbaulobby: Der Rhein-Main-Donau-Kanal ist fertig, der größte Teil der Straßen in Ostdeutschland ist bald geteert und verbreitert – da müssen auf Teufel komm raus neue Aufträge her. Schließlich halten die Aktien der großen Baufirmen solch einflußreiche Konzerne wie Allianz, RWE oder die Commerzbank, die politischen Freunde in der Partei und die Lobbyisten werden es einem aufstrebenden Jungstar wie Wissmann schon danken.

Nun geht es nicht nur um die 800 Millionen Mark, sondern bei der Elbe auch um einzigartige Flußauen mit vielen geschützten Tieren und Pflanzen. Und den Hamburgern droht künftig die Flut statt von der Nordsee von den gebändigten Flußläufen in Sachsen. Da werden natürlich Folgeaufträge für Deich-, Schleusen- und Staudammbauer fällig, ein willkommener Dominoeffekt, auch wenn das im Ministerium als „falsche Unterstellung“ bestritten wird.

Ganz nebenbei wird auch einem Konkurrenten der Reeder- und Lkw-Lobby ein Schlag verpaßt, der weit weniger Rückhalt findet in Bonn als die Großen der deutschen Industrie: der Deutschen Bahn AG. Ihre Schienen laufen parallel zur Saale. Sie sind nur zu 30 Prozent ausgelastet, obwohl derzeit 84 Prozent des Güterfernverkehrs der Region über die Bahn rollen. Deswegen ist das Gutachten auch im Giftschrank verschwunden: „Auswertungen an bundesdeutschen Wasserstraßen belegen“, steht in der Expertise, „daß aufgrund des Konkurrenzverhältnisses mit der Bahn erst ab einem Tiefgang von 2,0 Meter mit einem nennenswerten Binnenschiffahrtsaufkommen zu rechnen ist.“ Entweder wird also das Geld sinnlos verbetoniert, oder aber – bei einem tieferen Ausbau der Elbe – der Bahn werden die Aufträge abgegraben. Daß das Verkehrsministerium mit etwa 100 neuen Dauerarbeitsplätzen in der Region durch die Flußprojekte wirbt, ist angesichts der Entlassung Zehntausender bei der Bahn nur noch zynisch.

Die Lobbyisten der Industrie setzen sich durch, die Bahn und die vielen Verkehrsinitiativen bleiben außen vor – so läuft das nun seit Jahren, und das ist vielleicht Marktwirtschaft. Es ist aber auch dumm, denn die Milliarden könnten wahrhaft klüger investiert werden. Außerdem treibt es einen zur Weißglut, wenn gleichzeitig das Geschwätz vom Zukunftsmodell Deutschland ertönt und die hohen Standortkosten beklagt werden. Aber bei den Wahlen kommen die Damen und Herren Politiker ja jedesmal durch damit. Reiner Metzger