: Gesucht: 13.000 Menschen
■ Niederländische Blauhelme berichten von Greueltaten der bosnischen Serben in Srebrenica
Berlin (taz) – Vor einer Woche haben die bosnischen Serben Srebrenica erobert – seitdem ist das Schicksal von rund 13.000 EinwohnerInnen der UN-Schutzzone ungewiß. Von den ehemals 44.000 Menschen konnten 23.000 in die ostbosnische Stadt Tuzla fliehen, 8.000 entkamen in die Schutzzone Žepa, wo gestern die Gefechte etwas nachließen. Vermißt werden neben wehrfähigen Männern vor allem Frauen, die von den bosnischen Serben aus den Bussen, die die Flüchtlinge nach Tuzla bringen sollten, herausgeholt worden sind. Obwohl viele Frauen in Tuzla berichteten, Vergewaltigungen gesehen zu haben, ist offenbar noch keines der Opfer in Tuzla angekommen.
Mit einiger Sicherheit kann man inzwischen davon ausgehen, daß die bosnisch- serbischen Truppen mindestens 5.000, vielleicht aber auch 8.000 Männer in Lagern interniert haben. So teilte Serbenführer Radovan Karadžić selbst mit, daß seine Soldaten 5.200 Bosnier an sechs verschiedenen Orten festhalten. Die mit 3.000 Männern größte Gruppe befindet sich demnach im 100 Kilometer nordöstlich von Sarajevo gelegenen Nova Kasaba. Die Belgrader Zeitung Vecernje novosti berichtete von mehr als 8.000 Muslimen, die nach der Eroberung von Srebrenica festgenommen worden seien.
Über die Lage dieser Männer gibt es bisher keine Informationen. Die bosnischen Serben verweigern Mitarbeitern des Internationalen Roten Kreuzes weiterhin den Zugang zu den Gefangenen. Den 75 niederländischen Blauhelmen, die von den Serben mehrere Tage festgehalten worden waren, erteilte das Verteidigungsministerium in Den Haag Redeverbot, bis die restlichen 308 niederländischen Blauhelme in Sicherheit sind.
Einige Details über das Vorgehen der Serben in Srebrenica wurden dennoch bekannt. So berichtete ein Blauhelm seinen Eltern am Telefon, die bosnischen Serben verhielten sich nur dann einigermaßen human, wenn Kameras auf sie gerichtet seien. Zahlreiche Bosnier hätten sich nach der Eroberung Srebrenicas umgebracht. Ein anderer Soldat berichtete nach seiner Ankunft in einem UN-Lager bei Zagreb: „Es ist fürchterlich, was Menschen sich antun können. Es geht nicht nur um Männer, sondern auch um Frauen, schwangere Frauen, Kinder und Alte. Die Verwundungen sind unterschiedlich. Schußwunden, abgeschnittene Ohren, Vergewaltigungen. Es gab sogar einen Bericht über einen Mann, der an seinen Hoden aufgehängt wurde.“
Drei bosnische Flüchtlinge berichteten übereinstimmend, daß die Serben nach der Eroberung von Srebrenica 20 Männer hingerichtet haben. Dem Korrespondenten der britischen Zeitung The Independent in Belgrad liegt ein Videoband des serbischen Fernsehkanals Studio B vor. Die Aufnahmen zeigen etwa 25 tote Körper, die an einer Mauer aufgestapelt wurden. An der Mauer sind unzählige Einschußlöcher zu sehen.
Zu Vergewaltigungen soll es nach Zeugenaussagen auch schon im Flüchtlingslager Potočari gekommen sein. So berichtet eine Zeugin, daß die Serben von dort Hunderte von Frauen verschleppt hätten. Sie habe gesehen, wie einige Mädchen im Lager vergewaltigt worden sind. Eine andere erzählte, daß die Vergewaltigungen in einem Haus auf dem Gelände der Batteriefabrik in Potočari stattgefunden hätten. Die Flüchtlingskommissarin der UNO reiste gestern nach Tuzla, um sich selbst ein Bild zu machen. her Seiten 8 und 10
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