Universitäten – mafios durchseucht

■ Der Hamburger Professor Schwanitz über Klientelismus und Sprechverbote an einst „linken“ Unis

StudentInnen dümpeln vor sich hin, der Rektor sorgt sich lediglich um die eigene Wiederwahl... So beschreibt der Hamburger Professor für Englische Literatur, Dietrich Schwanitz, in seiner Realsatire „Der Campus“ den Uni-Alltag.

taz: Der Roman beschreibt uniinterne Intrigen in Hamburg – gilt er auch für andere Unis?

Dietrich Schwanitz: Die Gremienseuche betrifft Bremen bestimmt auch. Das typische Gremienproblem ist die Banalisierung der Probleme. In meinem Gremium im Institut des Englischen Seminars hat man beispielsweise eine Tagesordnung, ich vereinfache sie auf zwei Punkte: Der eine ist die Einrichtung eines Graduiertenkollegs für kognitive Linguistik. Da versteht nur einer was davon und noch ein halber. Sie versuchen also alle, den Tagesordnungspunkt schnell zu begraben, damit sie nicht anhand der Diskussion verraten, daß sie von der Sache nichts verstehen. Zweiter Tagesordnungsunkt: „Hat die Zahl der Topfpflanzen im Geschäftszimmer das zumutbare Maß überschritten oder nicht?“ Da verstehen sie alle was davon, inklusive der Sekretärin, und es gibt eine Debatte von zwei Stunden. Die banalen Punkte verdrängen die Expertenprobleme.

Sie sprechen von semantischen Verboten und einer Verkrampfung der Kommunikation...

Ein Beispiel: Nach dem Zusammenbruch des „Real-Existierenden“ hat die Deutungsdominanz der Linken abgenommen, und soweit die Universitäten linke Milieus sind, hat das zu einer Verschärfung der Verbote geführt. Die traditionellen polit-ökonomischen Kategorien der Gesellschaftsanalyse sind stärker durch moralische ersetzt worden. Den Gegensatz progressiv/konservativ hat man verwandelt in eine Differenz nach dem Schema „Gut-Böse“. Das moralisiert die Diskurse und führt zu Verboten, dazu, daß gerade die Universitäten, wo Kritik herrschen sollte, dazu gekommen sind, sich in Grabenkämpfe über semantische Verbote zu verwickeln.

Sie haben durch den Roman dieses Kritikverbot unterlaufen. Meinen Sie, daß sich jetzt eine konstruktive Diskussion entwickeln kann?

Ich glaub nicht, daß Literatur dazu führt, daß Reformen daraus entwickelt werden. Aber es ist erste Bürgerpflicht, die Probleme überhaupt erst zu benennen. Die Probleme der Massenuniversitäten kommen ja noch durch ein weiteres Verbot zustande: Dadurch, daß die jetzige Universität Ergebnis einer Reform aus den siebziger Jahren ist. Es gibt aber nichts Konservativeres als eine erfolgreiche Reform, weil man unterstellt, die Reform habe alle Probleme gelöst. Diejenigen, die die Reform durchgeführt haben, sitzen als Profiteure der Reform in den Universitäten. Insofern ist das Problem was wir haben, nicht das des produktiven Anschlusses, sondern es zu benennen.

Was ist denn Ihr Bild der Idealuniversität, des Idealstudenten?

Ich glaube, daß wir die Universitäten nicht auf den Massenbetrieb eingestellt haben. Als die Hochschulrevolte kam und dann die Reform, haben wir im selben Moment die Hochschule dereguliert. Statt die Massen akademisch zu sozialisieren, haben wir die Universität ganz vermassen lassen. Was mir vorschwebt ist, daß man die Massen nicht rausschmeißt, sondern daß man die Studenten da abholt, wo sie sind: Mit relativ mangelnden Vorkenntnissen, jedenfalls sehr inhomogenen Vorkenntnissen, weil die Schulen so verschieden geworden sind. Man braucht also stärkere Grundkurse. Mir schwebt letztendlich ein Collegesystem wie bei den Amerikanern vor: Wir brauchen eine relativ verschulte Grundstudienausbildung mit einem allgemeinen berufsqualifizierenden Abschluß. Und dann ein weiterführendes Studium für den akademischen Nachwuchs.

Sie nennen die Vernetzung zwischen Senatsbehörden und Unigremien ein mafioses System. Ist das nicht zu weit hergeholt?

Nein, wenn man mafiose Strukturen als Klientelismus definiert. Und der Klientelismus ist in die Universität gekommen über die Parteienstrukturen, in Hamburg wie in Bremen. Dadurch wird tatsächlich fast die Verfassung außer Kraft gesetzt. Weil das deutsche Verhältniswahlrecht dazu führt, daß im Grunde die eigentliche Auswahl des politischen Personals nicht mehr durch die Wähler erfolgt, sondern durch die Parteien, die die Leute auf die Listenplätze setzen. Das ist auch bei Berufungen von Professoren häufig zu beobachten.

Was kann man dagegen tun?

Wenn man solche Milieus hat, die durch Klientelismus verseucht sind, dann gibt es keine Instanz, die das sagt, denn dann wird man sofort aus der Klientel herausgeschmissen. Und das ist natürlich auch mir passiert. Ich operiere als Einzelkämpfer hier. Das kann man nur so machen und sich dann in der Öffentlichkeit Rückhalt verschaffen.

Ihnen ist aber nicht passiert?

Der „Spiegel“ hat mir einen Reporter auf die Hacken gesetzt, der permanent erwartete, daß ich auf der Flucht erschossen werde. Der rief dann bei mir an: „Sind denn wenigstens Ihre Reifen zerschnitten worden?“ Und viele Leute haben gesagt, das sei ein mutiger Roman. Ich frage mich: Was ist das für eine Gesellschaft, wo es Mut braucht, einen Roman zu schreiben und außerdem einen komischen?

Fragen: Sofie Buchwald, Luigi La Grotta