Sanssouci
: Rundumschlag

■ Wohnkultur, Folge 12 Umziehen, eine Geißel der Menschheit

In den letzten drei Jahren bin ich drei Mal umgezogen. Ich habe also in kurzer Zeit nacheinander in vier Wohnungen gewohnt. Es gab eine Zeit, in der mir solche Mobilität romantisch- verwegen vorkam. Damals war ich fest installiert und sehnte mich danach, ein wenig durchgeschüttelt zu werden. Unterdessen ist mir das nomadische Leben lästig geworden. Die Gegenstände, mit denen ich täglichen Verkehr pflege, stehen in meiner neuen Wohnung immer noch wie auf Abruf. Sie scheinen der Ruhe nicht zu trauen, als könnte jederzeit ein Umzugskommando kommen, um die kleine Gesellschaft abermals in einen Lastwagen zu packen. Sie haben auch wenig Grund, mir zu vertrauen. Ich habe ihnen schon oft genug versprochen, daß es diesmal für länger sei. Vielleicht ist es aber auch gar nicht wirklich meine Schuld, daß sie so nervös herumstehen, gleichsam auf Zehenspitzen, auf den nächsten Rückfall in die Mobilität gefaßt.

Vielleicht liegt diese Nervosität vielmehr schon in der Natur der Gegenstände, mit denen ich mich umgebe. Sie sind allesamt keine Möbel, die sich darin genügen, dazusein und mein Leben auszupolstern. Alle sind sie praktisch und vielseitig verwendbar, beweglich und flexibel wie moderne Angestellte: Der Tisch ist zusammenklappbar, die Stühle stapelbar, der Schrank eigentlich ein Zelt aus Stoff und ein paar Stangen, der Schreibtisch eine Assemblage aus einer Platte und zwei Containern. Wären da nicht das Sofa und der Teppich, zwei solide Neuzugänge, die dem ganzen einen Hauch von Bürgerlichkeit verleihen, mein Hausrat wäre eine ziemlich haltlose Gesellschaft. Man kann sich kaum vorstellen, wie diese klapprige Bande es aushält, in Ruhe an ihren Plätzen zu bleiben, wenn ich länger abwesend bin.

Mit dem Umziehen geht außerdem eine Form von materieller Amnesie einher, die ich mittlerweile fürchte. Der Geisteszustand eines soeben Umgezogenen gleicht demjenigen nach dem Erwachen aus einer Ohnmacht. Wie im Kopf alles durcheinandergeraten ist und neu sortiert werden muß, so sieht es auch in den Bücherregalen aus und in den Kisten voller Briefe und Fotos. Noch halb benommen macht man sich an die Arbeit der Rekonstruktion, die nie ganz gelingen wird. Denn nicht nur, daß nichts mehr an seinem Platz ist, vieles ist auch gleich ganz verschwunden. Man merkt die Verluste oft erst viel später. Bei jedem meiner Umzüge sind Sachen auf der Strecke geblieben, die zu mir zu gehören schienen: Schallplatten, Pflanzen, Bücher, Geschirr. Ich habe das Gefühl, eine Spur aus verlorenen Gegenständen hinter mir gelassen zu haben.

Jetzt ist es genug damit. Ich werde meine Möbel beruhigen und ihnen noch ein paar gesetzte Herrschaften zugesellen. Ab und an werden wir uns über die alten nomadischen Zeiten unterhalten und an diejenigen denken, die nicht mehr unter uns sind, ohne daß irgendwer noch wüßte, wo genau sie auf der Strecke blieben. Jörg Lau