No comment?

■ Wird die ARD-Doku "Unten. Gespräche mit Armen" erst durch einen Off-Kommentar über Arme "mehrheitsfähig"?

Frech sind die Filme des dokumentarischen Duos Mischka Popp und Thomas Bergmann, weil ihre Machart immer eine Verbindung mit dem jeweiligen Thema eingeht. Aber in ihrem neuesten Film „Unten. Gespräche mit Armen“ (21.50 Uhr, ARD) scheint dieses empfindliche Gleichgewicht ein wenig gestört. Obwohl es um Menschen geht, die kein Dach über dem Kopf haben, läuft ihr Film ausgerechnet in der Reihe „Unter deutschen Dächern“. Dieser sinnfällige Mißklang drückt sich auch in der etwas veränderten Machart der eigentlich in einer ersten Fassung schon für März vorgesehenen Doku aus.

Die Veränderungen gegenüber der ursprünglichen Version sind nicht dramatisch. Der Film ist nur nicht mehr so puristisch wie geplant. Statt die ersten sieben Minuten zwei obdachlose Frauen kommentarlos reden zu lassen, startet der Film jetzt auf Bitten der zuständigen Redaktion wie ein klassisches Feature mit einer Dosis Teleradio zu Frankfurtbildern. Das ist nicht schlecht, aber anders.

Die ins Format zurückgestutzte Version ist Ausdruck der – vielleicht – berechtigten Angst, der Zuschauer könne die Intensität des rein Visuellen nicht goutieren ohne volkshochschulmäßige Belehrung durch den Kommentar. Dabei haben die beiden Frankfurter in ihren bisherigen Filmen oft genug bewiesen, daß Fernsehen nicht bebilderter Hörfunk sein muß. Seit Jahren drehen sie die etwas andere Dokumentation. Ihre Themen finden sie dort, wo die Maschinerie des sozialen Gefüges aus dem Takt geraten ist: „Giftzwerge“ (1990) war ein Film über Phantasie und Kreativität von Nachbarn, die miteinander in Streit geraten und leidenschaftlich gegeneinander prozessieren. „Großwildjagd“ (1991) porträtierte einen Privatbankier, der mit hemdsärmeliger Dreistigkeit Millionenbeträge erschwindelt, und in „Die Heimwerker“ (1992) führten die urbanen Höhlenforscher Popp/ Bergmann Fachgespräche im Hobbykeller mit Bastelfetischisten, die sich mit der Bosch-Kombi zu sich selbst durchbohren wollen.

Waren die Filme bis hierher schräg und zugleich – auf redakteursdeutsch – „mehrheitsfähig“ (weswegen sie um 20.15 Uhr ausgestrahlt wurden), so begannen mit „Herzfeuer“ (1993) die Probleme. Vor schwarzem Hintergrund reden Menschen 100 Minuten lang natürlich und ungezwungen über die ganze Palette der Sexualpraktiken. Die karge, reduzierte Form des Films („japanisch, mit kleinen Frechheiten“, so Bergmann) widerspiegelte den gelungenen Versuch, ihnen im Gespräch nahe zu kommen. Das Perverse erschien normal und das Normale pervers. Im Gegensatz zu dem satirisch-zoologischen Blick der vorangegangenen Filme haben Popp/ Bergmann in „Herzfeuer“ den Zuschauer nun mit etwas konfrontiert, das unter die Haut geht. Ergebnis: Der für eine Ausstrahlung um 20.15 Uhr vorgesehene Film lief in der Nachtschiene, erhielt den Premiere-Preis für Dokumentationen und erweckte die Skepsis von Fernsehmachern.

Der darauffolgende Film „Körper“ (1995) zeigte spleenige Formen des Kults um die Veredelung und Drangsalierung des Leibes. Zum selben Thema lief fast zeitgleich „Aufgegeilt und unbefriedigt. Deutschlands Absturz in die Körperfalle“ von Gero Gemballa. Während letzterer die Körperfetischisten via Off-Kommentar pseudoironisch denunzierte, setzten Popp/Bergmann das in „Herzfeuer“ begonnene Projekt fort, durch unkommentierte und genaue Beobachtung zur verqueren Folgerichtigkeit im Tun der Body- Maniacs vorzudringen.

Die Kritik reagierte gespalten. In der Süddeutschen Zeitung monierte Wilfried Geldner irritiert, „daß der seltsame Bodybuilder am Ende gar nicht so schlecht dasteht, wie wir gedacht haben“. Weil Körperfetischisten aber schlecht dastehen müssen, forderte im Hamburger Abendblatt Kritiker Peter Dressen für „Körper“ „einen gepfefferten Kommentar“.

Daß ein Kommentar nicht grundsätzlich verkehrt ist, zeigten Popp/Bergmann in „Murks“, wo sie mit süffisanten Bemerkungen die jeweilige Situation erklärten. Geht es aber darum, Menschen in ihrer Eigenart zu beobachten, dann hörte für die beiden Dokumentaristen das Gerede bislang auf.

In einer harmonischen, demokratischen Absprache hat Redakteur Elmar Hügler dem unter freiem Himmel gedrehten Film nun sein deutsches Format-Dach verpaßt. „Unten“ ist trotzdem noch ein dichter, intensiver Film. Popp/Bergmann zeigen weder offene Beine noch kotzende Brückenpenner. Statt Stichwortgebern für den allabendlichen Fernsehgrusel haben sie die unauffällige, sich versteckende Armut in Frankfurt dokumentiert. Bergmann redet mit den Armen nicht so, wie im Fernsehen gewöhnlich mit Armen geredet wird. Deswegen erfahren wir in „Unten“ von einer anderen, viel weiter reichenden Armut. Mit beinahe bürgerlicher Solidität haben sich Landstreicher mit der Obdachlosigkeit arrangiert und fallen im Stadtbild nicht mehr negativ auf. Ohne lärmende Anklage vermittelt der von Jörg Jeschel beeindruckend fotografierte Film eine Ahnung davon, wie die Off-Gesellschaft immer größer wird. Manfred Riepe