Behutsamkeit mit harten Bandagen

Das Kabinett verabschiedet die Sozialhilfereform: Mit tiefen Schnitten ins Sozialsystem will die Bonner Regierung Geld sparen. Empörung über neue Pflichten für Wohngemeinschaften  ■ Aus Bonn Hans Monath

Behutsam, aber wirksam“ – so charakterisiert Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) seine Sozialhilfereform, die das Kabinett gestern verabschiedete. Mindestens 2,2 Milliarden Mark sollen die Kommunen pro Jahr sparen, wenn der Entwurf im Herbst Gesetz wird, versprach Seehofer gestern. Statt „behutsamer“ Korrekturen sieht das umstrittene Paket allerdings harte Schnitte im Sozialsystem vor. Das Diakonische Werk warnte gestern vor einem „Systemwechsel“ und dem „Verlust der Gemeinwohlorientierung“.

Sozialhilfeempfänger sollen künftig mit Hilfe von Zuschüssen und Qualifizierungsangeboten zur Arbeitsaufnahme bewegt werden. Verweigern sie eine „zumutbare Arbeit“ oder die Teilnahme an einer Ausbildung, wird ihr Regelsatz um mindestens 25 Prozent gekürzt.

Die „Dynamik der Ausgabensteigerung“ bremsen soll der Verzicht auf die bislang geltenden Bedarfssätze. Die Regelsätze steigen nicht mehr automatisch, sondern orientieren sich ab Mitte 1996 an der Einkommensentwicklung in den alten Ländern. Die SPD vermißte denn auch gestern prompt eine Grundlage für die Sicherung des Existenzminimums.

Wer Sozialhilfe empfängt, soll künftig deutlich schlechter dastehen als ein Arbeitnehmer: Die Hilfe zum Lebensunterhalt muß von 1999 an um 15 Prozent unter den Nettoarbeitsentgelten oder verfügbaren Einkommen unterer Lohn- und Gehaltsgruppen liegen. Die Pflegesätze in Heimen und Einrichtungen sollen bis 1998 nicht stärker steigen als die Bruttolöhne.

Einzelheiten über Kürzungen bei den Leistungen für Asylbewerber will der CSU-Minister erst im September vorlegen. Bei den Flüchtlingen will Seehofer jährlich noch einmal 1,3 Milliarden Mark sparen, kündigte er gestern an.

Seehofer verteidigte auch die Regelung, wonach in WGs lebende unverheiratete Sozialhilfeempfänger künftig nachweisen müssen, daß Mitbewohner sie nicht unterstützen. Der Schritt trage finanziell wenig zur Sanierung des Sozialsystems bei, sei aber nötig, um die Akzeptanz der Reform bei den Praktikern in den Kommunen zu sichern, sagte er. Alleinerziehende mit mehreren Kindern sowie Betreuer von Pflegebedürftigen und Behinderten seien ausgenommen.

Empört über diese neue Regelung äußerten sich gestern der Schwulenverband Deutschland (SVD), der Lesbenring sowie die SPD-Abgeordnete Christel Hanewinkel. Es sei eine „bodenlose Unverschämtheit“, daß Seehofer schwule und lesbische Lebensgemeinschaften nach der Devise „gleiche Pflichten, aber keine Rechte“ behandele, kritisierte SVD-Sprecher Volker Beck. Christel Hanewinkel erklärte, die Regierung setze „ihre feindliche Politik gegenüber nicht traditionellen Lebensformen fort“.

Zur Frage, ob solchen Lebensgemeinschaften nicht im Gegenzug ein dem „Ehegattensplitting“ vergleichbarer Steuervorteil gewährt werden müsse, wollte Seehofer gestern keine Stellung nehmen. Darüber habe der Finanzminister zu entscheiden, meinte der CSU-Politiker.