Im Grundsatz für Spritzen im Knast

■ Interview mit Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD): Modellversuch für Spritzenvergabe an Häftlinge wird vorbereitet / Hasch-Verkauf in Apotheken "irreal" / Korruption von Staatsbediensteten:

Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit ist seit März 1994 Justizsenatorin. Die vormalige Hamburger Justizsenatorin und ehemalige Richterin hat sich in diesen eineinhalb Jahren in Berlin mit Pragmatismus und einer Vielzahl auch bundesweiter Initiativen Anerkennung im Senat erworben – aber auch Kritik geerntet.

Peschel-Gutzeit hat in Berlin Schnellgerichte installiert, beispielsweise bei Verkehrsdelikten, um die Rechtsprechung zu beschleunigen. Sie strebt mit einer Bundesrats-Initiative außerdem eine Verkürzung des Rechtswegs bei Zivilprozessen an, um die Justiz zu entlasten. Der Aufbau einer Berliner Anti-Korruptions-Arbeitsgruppe geht ebenso auf ihre Initiative zurück wie ein Gesetzentwurf für die strengere Bestrafung für Korruption im öffentlichen Dienst, der derzeit auf Bundesebene beraten wird.

taz: Sie haben kürzlich in der Schweiz ein Frauengefängnis besucht, wo seit über einem Jahr ein Modellprojekt mit Spritzenautomaten läuft. Wird es so etwas auch in Berlin geben?

Lore Maria Peschel-Gutzeit: Ich befürworte das im Grundsatz. Aber man muß die Voraussetzungen dafür schaffen. Ich habe gegen den erbitterten Widerstand des Personalrats eine anonyme Befragung aller Justizbediensteten durchgeführt. Von etwa 3.000 Bediensteten aller Anstalten haben mehr als 1.000 geantwortet. Es hat sich bestätigt, daß wirklich die überwiegende Zahl der Bediensteten gegen eine Spritzenvergabe ist. Achtzig Prozent haben zum Beispiel Angst vor der Bedrohung, wenn alle Insassen eine Spritze haben können. Das wußten wir vorher. Viel wichtiger ist, daß ein nennenswerter Anteil, nämlich knapp zwanzig Prozent, es sich vorstellen kann. Nur so kann es überhaupt laufen. Es geht nur mit den Bediensteten. Sonst gibt es eine „innere Emigration“, daß die Bediensteten dann zwar da sind, aber nicht an dem Projekt teilnehmen.

Welche Probleme müssen außerdem geklärt werden?

Wenn man an Spritzenvergabe denkt, muß es eine kleine abgesonderte Anstalt sein und es müssen Bedienstete dabeisein, die das wirklich bejahen. Und sie müssen entsprechende Arbeitsbedingungen haben. Ihre Schichten müssen ganz anders laufen. Da sie Ansprechpartner sein sollen und müssen für die Insassen, müssen sie auch kürzere Dienstzeiten haben.

Wann könnte so etwas eingerichtet werden?

Der Versuch hatte in der Schweiz eine Vorlaufzeit von drei Jahren. Ich bin jetzt gerade mal ein gutes Jahr in Berlin. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob wir im nächsten oder übernächsten Jahr soweit sind. Das ist auch eine Frage der Baulichkeiten. Wir sind ja gerade dabei, kleine Haftanstalten im Ostteil der Stadt herrichten zu lassen. Es ist zudem eine Frage der Technik. Der Leiter des Projektes in der Schweiz hat selbst die Spritzenautomaten entwickelt, weil es sie so nicht auf dem Markt gab. Eine andere Frage ist, ob Automaten das richtige sind. Die meisten Bediensteten haben in der Umfrage gesagt, Ausgabe durch den Arzt wäre das Richtige. Und man muß natürlich auch mit den Insassen reden. Ich bin also auf dem Wege, aber ich bin noch nicht soweit. Nach insgesamt fünf Jahren als Senatorin habe ich die Erfahrung gemacht, daß man solche heiklen Dinge ganz vernünftig anfangen muß, daß man sie weder mit einem großen Krawall in der Öffentlichkeit machen kann, noch mit einem Schnellschuß. Das muß Hand und Fuß haben.

Kann man sich wie in der Schweiz ein solches Projekt in einer Frauenhaftanstalt vorstellen?

Die zu große Frauenhaftanstalt Plötzensee wird aufgeteilt, sobald einige kleinere Ostberliner Haftanstalten belegungsfähig sind. Das wäre ein Weg. Ein anderer wäre eine ausgesuchte Männergruppe. Es ist ja kein Zufall, daß die Schweizer Frauen für das Modellprojekt genommen haben, weil von Frauen auch im Vollzug nicht annähernd die Gewalt ausgeht wie von Männern. Andererseits darf man die Männer nicht ausnehmen, denn sie stellen fünfundneunzig Prozent der Häftlinge.

Weil es in Haftanstalten theoretisch keine Drogen geben darf, werden von Politikern auch Spritzen für unnötig befunden. Sie akzeptieren also, daß es im Gefängnis Drogen gibt.

Ich wußte dies alles schon in Hamburg, wo ich zum Beispiel die Desinfektionssets eingerichtet habe. Ich habe sie auch in Berlin eingeführt, wohl wissend, daß es überall Drogen gibt. Ich will sie in den Haftanstalten nicht haben. Auch in der Schweiz gilt das Verbot weiter. Ich leugne nicht, daß es hier viele Widersprüche gibt.

Es gibt den Vorwurf, daß durch die Bereitstellung von Spritzen der Drogengebrauch stimuliert wird.

Ich kann nicht ausschließen, daß durch das Bereitstellen von Spritzen Insassen stimuliert werden, die bisher aus Angst, sich dabei zu infizieren, nicht gespritzt haben. Die Schweizer haben da eine interessante Feststellung gemacht. Am Anfang war dort der Spritzenverbrauch sehr hoch. In der Zwischenzeit hat er sich völlig reduziert auf zwölf Spritzen täglich. Damit konnte nachgewiesen werden, daß der Drogenverbrauch nicht gestiegen ist.

Wären Sie für eine Apotheken- Abgabe von Haschisch in Berlin, wie es in Schleswig-Holstein vorbereitet wird?

Das gehört in die Abteilung „Wunder gibt es immer wieder“. Das sind alles Luftballons aus der Sphäre der Gesundheitsminister. Wir müßten aus drei internationalen Abkommen aussteigen. Das ist doch irreal. So was fordere ich nicht, wenn ich weiß, es ist nicht durchzusetzen. Wo hier die Leute ihre kleine Haschmenge kaufen, ist eine Frage. Die andere Frage ist, was geschieht, wenn man sie damit antrifft. Da bin ich natürlich der Ansicht, man soll sie nicht verfolgen. Das ist unverhältnismäßig. Aber niemand darf legal mit Haschisch handeln.

Wären für Sie rechtliche Änderungen wünschenswert?

Ich habe mir einfach abgewöhnt, drei Schritte im voraus zu sagen, ach das wäre ja toll, gäbe es Haschisch in der Apotheke, wenn ich ganz genau weiß, das geht rechtlich nicht. Und wenn ich außerdem weiß, ich hab' nicht die Macht, auch nur irgendwas zu ändern. Das sind Bundesgesetze. Und die Bundesregierung wird, das hat sie immer wieder erklärt, diese Gesetze nicht ändern. Wenn wir dort eine andere Regierung hätten, dann würde ich sagen, gut, vielleicht kann man das eine oder andere machen. Aber so sind das nur Joggingübungen des Gehirns.

Halten Sie die Kennzeichnung von Beamten bei der Polizei und bei der Justiz für sinnvoll?

Für die Polizei ist der Innensenator zuständig. Diese Frage nach der Kennzeichnung habe ich aber für die Vollzugsbediensteten geprüft. Gespräche mit dem Personalrat und den Anstaltsleitern haben mich überzeugt, daß das im Vollzug nicht nötig ist. Es geht um die Transparenz, die Erkennbarkeit. Aber die Beamten im Vollzug sind ja bekannt. Selbst wenn ein Bediensteter zuschlagen sollte, ist er ja nicht im luftleeren Raum. Es gibt genügend Insassen, die das mitbekommen, und genug andere Bedienstete.

Oft können aber bei Verfahren wegen Körperverletzung im Amt Taten keinen bestimmten Polizeibeamten zugeordnet werden, weil die Kennzeichnung fehlt.

Das stimmt. Aber das ist nicht nur ein Problem der Polizei. Das gilt immer, wenn mehrere zusammen auftreten und eine Straftat begehen. Das ist bei Jugendbanden genau dasselbe.

An die Polizei kann man wohl andere Rechtsansprüche stellen als an eine Jugendbande.

Das weiß ich nicht. Niemand muß sich selbst belasten. Auch ein Polizeibeamter hat das Recht eines jeden Angeklagten, zu leugnen, zu schweigen und auch die Unwahrheit zu sagen.

Würden Sie so eine Kennzeichnung befürworten?

Ich habe da noch keine abschließende Meinung. Ich habe einen Riesenberg von Aufgaben. Die Kraft reicht einfach nicht, mir dann noch Gedanken zu machen über Dinge, die ich nicht zu entscheiden habe, sondern der Innensenator.

Sie sind bundesweit Vorreiterin für eine stärkere Bekämpfung von Korruption im öffentlichen Dienst. Liegt das daran, daß es in Berlin besonders viel Korruption gibt?

Ich habe keine Anhaltspunkte dafür, daß Berlin von der Korruption besonders betroffen ist. In Berlin gibt es zur Zeit eine unglaubliche Bautätigkeit. Dadurch ist die Versuchung sehr groß. Zum andern will Berlin Bundeshauptstadt werden. Wer eigentlich, wenn nicht Berlin, ist aufgerufen, etwas gegen Korruption zu tun? Außerdem ist die Sensibilität gewachsen. Die Menschen nehmen es nicht mehr hin, daß „geschmiert“ wird.

Korruption ist doch auch jetzt strafbar.

Wir wollen eine Veränderung der Strafnorm, keineswegs nur ein höheres Strafmaß. Das wäre allein keine Lösung. Viel interessanter ist die Vorverlegung der Strafbarkeit. Schon in einem Stadium des Tätigwerdens mit einem Straftatbestand anzufangen, der bisher nicht bestraft war, ist etwas, was sehr schnell wirkt. Bereits die Annahme eines Vorteils durch einen Bediensteten, ohne daß der Bedienstete etwas dafür tut, wird strafbar. Aus unserer Sicht ist dies die einzige Möglichkeit, um auch das Bewußtsein wieder zu schärfen, was man als Bediensteter darf und was nicht. Dazu kommt eine umfassende Ermittlung und Prävention. Prävention heißt vor allem Aufklärung. Es wissen einfach sehr viele Bedienstete nicht, was sie dürfen und was nicht. Wir dürfen ja niemanden ins Messer laufen lassen. Insoweit haben wir Fürsorgepflichten zu beachten.

Außerdem wollen wir zur besseren Ermittlung eine Telefonüberwachung ermöglichen. Für geständige Täter, die zur Aufdeckung weiterer Taten beitragen, soll es Strafmilderung oder Straffreiheit geben. Mit dieser Kronzeugen-Regelung wollen wir Anreize für eine Anzeige von Korruptionsfällen geben.

Wann wird die von Ihnen für Berlin angeregte Ermittlungsgruppe die Arbeit beginnen?

Die Ermittlungs- und Arbeitsgruppe wird interministeriell unter unserer Federführung arbeiten und soll noch im Juli gegründet werden. Beteiligt sind der Rechnungshof, die Steuerfahndung, die Kartellbehörde und die besonders gefährdeten Senatsverwaltungen – beispielsweise die Bauverwaltung. Dazu kommen Mitarbeiter der Innen-, Wirtschafts- und Finanzverwaltung. Der Leiter wird nicht, wie in einigen Zeitungen falsch vermeldet, mit einem Gehalt von 160.000 Mark jährlich ausgestattet. Der Leiter soll außerdem aus der Justizverwaltung kommen und die Arbeitsgruppe auch unserem Haus zugeordnet sein. Es geht mir nicht darum, ein schönes neues Amt mit einem Riesenapparat zu schaffen. Das halte ich für kontraproduktiv. Ich möchte eine wirksame, kleine, unabhängige, auch nicht besonders hoch dotierte Arbeitsgruppe mit einem Konzept haben. Das Gespräch führten Barbara

Bollwahn und Gerd Nowakowski