Der homosexuelle Mann... Von Elmar Kraushaar

... ist ins Visier geraten. Ganz positiv, ganz freundlich, mit Sympathiekundgebungen landauf, landab. Seit dem Fall des sächsischen Innenministers Eggert will keiner hintanstehen und noch ein böses Wort über die so lange verschmähte Minderheit verlieren. Ganz generös gibt sich Focus-Chef Helmut Markwort: „Wir respektieren alle, die mit einem Bekenntnis zu ihrem Privatleben mehr Toleranz erreichen wollen.“ Der Berliner Tagesspiegel ist sich mit Bundesarbeitsminister Norbert Blüm und dem Bundesverband Homosexualität (BVH) einig und appelliert an die Gleichgeschlechtlichen in Bonn: „Meldet Euch!“ Die Münchner Abendzeitung bringt den liberalen Konsens auf den Punkt: „Sexuell kann jeder gestrickt sein, wie er mag.“ Und der Chef der Wochenpost, Mathias Döpfner, blickt ganz rosa in die Zukunft: „Ein schwuler Bundeskanzler im Jahr 2000? Denkbar.“

Einzig Deutschlands Fachblatt für des Volkes Unterbewußte, die Bild-Zeitung, bleibt bei der Wahrheit und titelt genial wie eh und je (erinnert sei nur an „Der Mörder kam von hinten“ zum Tod von Walter Sedlmayr): „Minister stürzt über Homosexuellen-Vorwürfe.“ Da steckt noch die ganze Kraft des dumpfen Vorurteils drin und der feste Wille zum schmuddeligen Nebelwurf.

Doch der aufgeklärte Mainstream ist schon längst weitergezogen, wie es scheint. Womit haben wir das verdient? Da greift ganz sicher die Homo-Propaganda der letzten Jahre. Dadurch haben wir erfahren, daß wir alle ständige Opfer böser Übergriffe sind und daß wir leben wollen wie jedes andere Trauschein-Duett auch. Das jahrzehntealte Monopol auf das einzige Homo-Gesicht der Nation – das des possierlich-provokanten Rosa von Praunheim – ist auch gebrochen: Wir haben jetzt Biolek und Kerkeling, von Mahlsdorf und Silbermann, allesamt lieb, unterhaltsam und mehrheitsfähig. Solche Menschen können gar nicht verworfen sein und verführen ganz sicher keine kleinen Kinder.

Bei aller guten Laune soll nicht unterschlagen werden, daß der Trend zum freundlichen Wort und zur guten Miene nichts weiter ist als eine Gratis-Show: Die liberalen Statements kosten niemanden etwas. Tatsächlich sollten sie zum Standardrepertoire einer aufgeklärten Gesellschaft gehören. Daß die Suade dennoch so viel Furore macht, zeigt, wie weit wir immer noch entfernt sind vom aufrichtigen Gespräch unter Erwachsenen. Die Phrasen werden über den Köpfen der Menschen ausgetauscht, und Bilder werden konstruiert von Figuren, die die Gemeinten auf Distanz halten. Mit diesem Zugriff auf das eigentlich Fremde soll Friede geschlossen werden mit der einstigen Provokation. Zivilisiert wird der beunruhigende Homosexuelle in einer Zeit, in der die Normen der Heterosexualität so ins Wanken geraten sind, daß kaum einer sich daran noch festhalten kann.

Angesichts dieser neuen Strategie der Umarmung schauen dankbare Homo-Augen auf die Nation, auf Blüm und die Medien und jeden anderen sonst, der ohne Stolpern das Wörtchen „homosexuell“ über die Lippen kriegt. Und die Zeitung, die Sie gerade in Händen halten, hat anläßlich des höchsten Feiertages der schwulen Gemeinde, dem CSD, nichts hinzuzufügen als: „Wir wollen alles, was die Heteros auch haben.“