Das Portrait
: Wilder Romantiker

■ John Galliano

Bei den Prêt-à-porter- Schauen im Frühjahr reagierte das Couture-Haus Givenchy ziemlich sauer auf das Gerücht, daß der Brite John Galliano die Nachfolge des 68jährigen Chefdesigners, des Marquis Hubert de Givenchy, antreten würde. „Wartet doch wenigstens, bis wir ihn gefragt haben!“ schnappten Givenchys Presseleute. Jetzt haben sie ihn endlich gefragt, und die Antwort war: „Ja.“

Wenn man sich die beiden ansieht, ist weder die Frage noch die Antwort besonders einleuchtend. Der Marquis, der sein Haus 1951 eröffnete, wurde mit einer extrem distinguierten und schlichten Mode berühmt, wie sie eine Grace Kelly liebte. Galliano dagegen gibt seinen Schauen Namen wie „Blanche DuBois“ oder „Afghanistan verwirft westliche Ideale“, arbeitet Telefonkabel in seine Krinolinenkleider und stippt seinen Chiffon in Gelantine – nicht gerade Mrs. Kellys Stil.

Eingefädelt wurde der Coup von Bernard Arnault, Vorsitzender des LVMH. Hinter diesem mysteriösen Kürzel verbirgt sich ein riesiger Konzern, der ausschließlich mit Luxusgütern handelt und auch einige kleine Couture-Häuser sein eigen nennt, wie Dior, Lacroix und eben Givenchy. Von seinem neuen Zögling erhofft sich Arnault eine Sensation wie Diors New Look 1947, der Aufstieg Saint-Laurents 1962 oder Karl Lagerfelds Chanel- Debüt 1983. Wenn Galliano dem Haus Givenchy neuen Glanz verliehen hat, wird das enorm den Absatz von Schals, Parfüms und Sonnenbrillen steigern, die den Markennamen Givenchy tragen.

John Galliano, aufstrebender Chefdesigner Foto: Archiv

Der Wunderknabe, der diese Erwartungen erfüllen soll, ist 34 Jahre alt und der Sohn eines Einwanderers aus Gibraltar. Bereits seine Abschlußkollektion am Londoner St. Martin's entfachte eine hysterische Begeisterung, die von Anfang an seinen Kleidern und ihm galt. Beide zeichnet eine Art wilde Romantik aus. Galliano war berühmt für seine Saufgelage, exzessiven Partys und – so herzlos es ist – den tragischen Tod seines Liebhabers.

Gesellschaftsdamen und Banker haben sich von dem fragilen Zustand Gallianos gleichermaßen beeindrucken lassen und es dem Sohn eines Klempners mehr als einmal ermöglicht, kurz vor den Schauen wenigstens den Stoff für seine Kollektion kaufen zu können. Jetzt soll Galliano regelmäßig zwei Prêt-à-porter-Schauen und zwei Haute-Couture-Schauen im Jahr für Givenchy auf die Beine stellen. Wird es jetzt noch Spaß machen? Anja Seeliger