■ Zur Aufklärung des Stuttgarter Brandanschlags von 1994: Jäher Motivwechsel
Als am 16. März 1994 sieben ausländische Frauen, Männer und Kinder bei einem Brand in der Stuttgarter Altstadt umkamen, beeilten sich Polizei und Stadtverwaltung, den Medien mitzuteilen: „Gott sei Dank“ gebe es keine Hinweise auf einen ausländerfeindlichen Hintergrund des Anschlags. Da war noch nicht einmal die Spurensicherung mit ihrer Arbeit fertig – schon wurde öffentlich aufgeatmet. Nur kein Solingen in Stuttgart! Schnell wies die Polizei mit dem Finger auf Drogensüchtige, die sich in der Nähe des Hauses häufig aufhielten.
Nun hat die Polizei den mutmaßlichen Täter gefaßt: einen 25jährigen Deutschen, berufs- und arbeitslos, dem insgesamt 17 Brandanschläge vorgeworfen werden. In den Häusern, die er zwischen 1993 und 1995 ansteckte, lebten fast nur Ausländer. Auf Zetteln hinterließ der Brandstifter: „Kanaken raus“ oder „Das war erst der Anfang“ und Hakenkreuze. Die Adressen hatte er sich teilweise aus dem Telefonbuch beschafft. Daß nur in einem Fall Menschen starben, ist Zufall. Oft konnten sich die Bewohner gerade noch in letzter Minute retten. Mehr als 100 Menschen gerieten jedenfalls durch die Anschläge in Lebensgefahr.
Und was sagen Staatsanwaltschaft und Polizei heute? Der Anschlag mit sieben Todesopfern sei „nicht ausländerfeindlich“, die späteren Anschläge ohne Todesopfer seien „ausländerfeindlich“. Der junge Mann sei irgendwann dazwischen zum Ausländerfeind geworden, weil er von Türken verprügelt worden war.
Wird man vielleicht am 19. Mai oder am 23. Oktober plötzlich zum Ausländerfeind? Wie funktioniert das und um wieviel Uhr?
Das Peinliche an dieser Erklärung ist: Der Täter ist noch gar nicht überführt, noch weiß der Staatsanwalt nicht, ob der 25jährige für den Mord an sieben Menschen wirklich verantwortlich ist. Aber eines weiß er offenbar ganz genau: Wenn er es war, dann nicht aus einem ausländerfeindlichen Motiv heraus, vielmehr sei dieser Mann „psychisch labil“.
Das hat sich im übrigen noch nie widersprochen. Philipp Maußhardt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen