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Nie wieder langweilen vor der Glotze

■ Ab nächstes Jahr sollen die Berliner unter 150 Fernsehkanälen wählen dürfen / „Channel-Hopping“ wird zur muskulösen Fingerübung und neuen Sportart

Falls „Channel-Hopping“ zur neuen Olympiadisziplin wird, kommen die BerlinerInnen künftig ganz groß raus. Zwischen 150 Fernsehkanälen dürfen die HauptstädterInnen ab 1996 fröhlich hin- und herzappen, bis sie im Wohnzimmer-Krieg um die Fernbedienung einem muskulösen Glotzprotz erliegen oder von neuen Programmzeitschriften mit Brockhaus-Gewicht erschlagen werden.

Vom Topflappenkauf via Bildschirm bis zu Nonstop-Minigolf in der Glotze ist bald nichts mehr unmöglich. Das resignierte „Es läuft mal wieder nichts“ aus dem Munde eines routinierten Fernsehzuschauers, der daraufhin den Ausknopf betätigt, gehört dann endgültig der Vergangenheit an.

Digital Video Broadcasting, kurz DVB, heißt das Zauberwort zur neuen Fernsehwelt. „Alles, was die Rezipienten brauchen, um die zusätzlichen Programme empfangen zu können, sind die Set- Top-Boxen“, sagt Maria-Carmen Jentzsch, Koordinatorin digitaler Projekte der Berliner Medienanstalt. Das sind spezielle Decoder zur Umwandlung digitaler Signale die an jeden Fernseher mit Hyperbandtuner angeschlossen werden können. Es kommt also darauf an, wie neu der Fernseher ist. Für schlappe 600 Mark ist so ein Gerät zu haben, das die Herzen bisher gelangweilter Glotzprofis höher schlagen lassen wird. Bei der Internationalen Funk- und Fernsehausstellung im August soll ein Prototyp vorgestellt werden.

„Die Decoder sind ziemlich intelligent“, sagt Jentzsch. Mit den Set-Top-Boxen sei beispielsweise das „pay-per-view“ möglich, bei dem der Fernsehzuschauer einzelne Sendungen für sich auswählt und nur für diese bezahlt. Die Decoder können die Abrechnung für den individuellen Fernsehkonsum übernehmen, verfügen über eine PC-Schnittstelle und einen Modem-Anschluß, zumindest die Luxusversionen. Allerdings wird es auch werbefinanzierte „Free-TV- Programme“ für ganz umsonst geben und breitbandige Online- Dienste, die multimedial beispielsweise elektronische Buchclubs anbieten. Wie teuer die Abende vor der Flimmerkiste werden, bleibt damit jedem selbst überlassen. Wer sich mit der „Lindenstraße“ und dem „Literarischen Quartett“ zufriedengibt, kommt billig mit den Rundfunkgebühren davon. Mit neuen Kinohits und Pelzmänteln von „Tele-Otto“ wird's schon happiger.

Klar ist, daß zumindest aus Sicht der Programmanbieter die bislang 32 Berliner Fernsehkanäle keineswegs ausreichen. Für neue Programme ist kein Platz mehr. „Im Berliner Kabelnetz gibt es seit Jahren Engpäße“, erklärt Jentzsch. Als gute Fee zaubert die Telecom deshalb per Digitalisierung bis zum Ende des Jahres aus 15 Fernsehkanälen im Hyperbandbereich die Übertragbarkeit von sechs bis zehn zusätzlichen Programmen pro Kanal. Dabei werden Daten komprimiert. „Multiplexing“ heißt das im Digital-Fachjargon.

„Wir rechnen mit 100.000 Abnehmern in der Einführungsphase“, sagt Maria-Carmen Jentzsch. Berlin habe mit 1,1 Millionen Anschlüssen das größte zusammenhängende Kabelnetz Europas. Mit der Digitalisierung solle die Verkabelung gegenüber der Satellitenschüssel attraktiv gehalten werden. „Ob sich die Geschichte lohnt, darüber entscheidet der Verbraucher“, sagt sie. Silke Fokken

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