Durchs Dröhnland: Holz und Eisenerz
■ Die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Jahrzehntelang fristete Jazz als Tanzmusik ein Schattendasein auf Parties von Jura- und BWL-Studenten. Doch die Rehabilitierung der Tradition durch den HipHop und das allgemeine 70er-Revival haben eine absonderliche Abart der Rave-O-lution vom Ende der 80er Jahre wiederaufleben lassen. Damals spielten anzuggewandete, des öfteren schon ältere Herrschaften einen stark auf dem sogartigen Sound der Hammondorgel beruhenden Jazz, der sich wenig an virtuoser Brillanz, dafür um so mehr an leichtfertiger Rhythmik orientierte. Man nannte es Acid Jazz, und einige der Protagonisten von damals, wie das James Taylor Quartett, bekommen inzwischen den ihnen zustehenden Respekt, während zuerst Galliano und zuletzt Jamiroquai die Massenkompatibilität erfolgreich erprobten. Schlußendlich kann man bösartig sein und behaupten, das habe uns das Easy-listening-Revival beschert. Man kann aber auch dankbar sein, daß jetzt hierzulande ein paar Bands einen satten Groove entdeckt haben. Bei 23rd Spirit fehlt die Orgel nicht, das Saxophon badet hin und wieder zwar in Klischees, aber dafür sind die Beats unfehlbar. Ihr Acid-Soul kommt aus dem 23. Jahrhundert, behaupten sie selbst. Für diesen Sommer taugt er allemal.
Heute, 22 Uhr, Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg
Ein paar Blocks weiter findet sich ebenfalls eine Möglichkeit, die Glieder fahren zu lassen. Ten Colors sind in Leipzig beheimatet, die Musiker des Septetts kommen aus Jemen, Mosambik, Kenia und Deutschland. Sie lieben den Off-Beat, vermischen Ska mit Weltmusik, vergessen nicht die Eleganz von Reggae und scheuen nicht vor modernen Einflüssen zurück, ohne daß das einen zerrissenen Eindruck hinterlassen würde. Die Kopfgeburt Ten Colors funktioniert auf der Bühne ebensogut wie jeder Fröhlich- geht-die-Welt-zugrunde-Reggae, muß einem als Zuhörer aber eben nicht peinlich sein.
Heute, 22 Uhr, Franz Club, Schönhauser Allee 36-39, Prenzlauer Berg
Nun schon seit circa zwei Jahren versucht Das Holz mit vielen Auftritten in kleinen Lokalitäten, die Menschen daran zu gewöhnen, daß man quietschfidele Musik auch dann spielen kann, wenn man nur zwei Geigen und ein Schlagzeug benutzt und sogar das Singen wegläßt. Die fiddelige Gangart macht einen liebevoll an längst vergangene Zeiten des westdeutschen Films zurückdenken, als Fernweh und Geldbeutel der Bundesbürger noch mit Ungarn und seinen Piroschkas vorliebnehmen mußten. Aber so wie dieser Film eher sentimental endet, liegt im Resonanzraum der beiden Violinen bei aller Überdrehtheit Schwermut begraben. Beim Holz stehen die großen Gefühle im Mittelpunkt und nicht etwa das avantgardistische Experiment, wie die Besetzung vermuten ließe.
Heute, 21 Uhr, Enzian, Yorckstraße 77, Kreuzberg, Eintritt frei!
Inzwischen wird ja auch hier die unsägliche Diskussion um die politische Korrektheit geführt, und jeder, der sich noch den Kopf zerbricht, was zu sagen denn nun richtig ist, darf gleich als Spießer diffamiert werden. Deshalb ist es doch schön, daß es trotzdem noch Bands wie But Alive gibt, auch wenn sie Sachen verlauten lassen wie: „Unsere Texte sind sicher nicht besonders politisch korrekt, sondern im besten Fall menschlich.“ Das trifft zwar den Punkt, ist aber unnötiges Rückzugsgefecht. Denn konsequente Verweigerungshaltung, das klare Wort zu oft beschrieenen Mißständen, die Absage an kahlrasiertes Gedankengut, davon kann man nie zuviel kriegen. Die vier Hamburger verabreichen zudem dem musikalisch ziemlich abgewirtschafteten deutschen Politpunk die bitter nötige Frischzellenkur: Schnell und trocken, mit HipHop-Einflüssen, nicht matschig auslabernd, sondern salatknackig auf den Punkt gespielt. Mit das Beste, was momentan an deutschem Hardcore zu haben ist – und definitiv ausreichend p.c.
Morgen, 22 Uhr, Schoko-Laden, Ackerstraße 169/170, Mitte
Erst kürzlich lasen wir im Sportteil dieser Zeitung, daß Skateboardfahren wieder einmal ein Revival erlebt. Das sollte auch Disaster Area freuen, die schon so lange auf dem Board stehen, daß ihre Knochen inzwischen ungefähr so stabil sein müßten wie der bröckelnde Stahlbeton ihrer Heimat, des Märkischen Viertels, dessen Rampen und trockengelegte Brunnen durch sie ungeahnte Berühmtheit erlangten. Ihr Punkrock ist ungefähr in derselben Verfassung, aber was soll's, hier werden noch alte Werte hochgehalten.
Am 26.7. mit Joint Venture und No Exit, Trash, Oranienstraße 40/41, Kreuzberg
Die Wirtschaft der kreisfreien Stadt Salzgitter, so verrät es mein schon ziemlich veraltetes Lexikon, wird bestimmt durch die Eisenindustrie und birgt „das größte dt. Eisenerzlager (über 2 Mrd. t)“. Das ist doch hübsch, vor allem, wenn man Catty Caress hört, deren Bedarf an Schwermetall in ihrer Salzgitterer Jugend offenbar nicht befriedigt werden konnte. Catty Caress passen gut in den momentan dominierenden Gitarrenrock und wurden von der niedersächsischen Presse mit stolzgeschwellter Brust schon mit Faith No More, Pearl Jam oder Soundgarden verglichen. Mal ganz abgesehen davon, ob das erstrebenswert ist, der Vergleich ist doch etwas größenwahnsinnig. Die Professionalität dieser Rockband stellt niemand in Abrede, aber was kann langweiliger sein? Immerhin erreicht man das Ziel „gitarrenorientierter Independent- Rock“ einigermaßen – zumindest bis der Sänger versucht, wie Marillions Fish zu klingen. Das ist dann nicht mehr so schön.
Am 27.7., 21 Uhr, Duncker, Dunckerstraße 64, Prenzl. Berg, Eintritt frei! Thomas Winkler
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