„Es gibt keine schwarzen Deutschen“

Menschen afrikanischer Herkunft lebten schon um die Jahrhundertwende in Berlin / Ignoriert von der Geschichtsschreibung oder mit kolonialem Blick / Zahl der Nazi-Opfer unbekannt  ■ Von Jutta Geray

Amur bin Nasur bin Amur Ilumeiri aus Sansibar lehrte um die Jahrhundertwende Suaheli an der Königlichen Friedrich-Wilhelm- Universität (der heutigen Humboldt-Universität). Der afro-amerikanische Komponist und Dirigent Will Marion Cook lernte in Berlin um 1890 das Geigenspiel an der Tonkunstschule. Mehrere Adlige aus Kamerun wurden Ende des 19.Jahrhunderts zu Studienzwecken nach Berlin geschickt, darunter Theophilus Wonja Michael, dessen Kinder heute noch in Deutschland leben.

James Michael, der 1916 in Berlin geboren wurde, erinnert sich an seine Jugend in Deutschland. Er erzählt vom Cafe Central, wo sich „alle Ausländer“, vor allem Künstler, immer trafen und von seinen Reisen als Zirkusartist. Insbesondere erinnert er sich daran, wie die deutsche Botschaft in Paris ihm 1937 den deutschen Paß abnahm mit der Begründung: „Es gibt keine schwarzen Deutschen.“

Dies sind Geschichten aus Paulette Reed Andersons Broschüre über die afrikanische Diaspora in Berlin. Über ihre genaue Zahl oder überhaupt ihre Existenz in Europa findet sich laut den Recherchen der Historikerin in der offiziellen Geschichtsschreibung nichts. Lediglich im Zusammenhang mit den „Völkerschauen“ der Kolonialzeit, die zwischen 1875 und 1885 in Berlin abgehalten wurden, werden sie erwähnt. Dort, wo „Nubier“ neben „Eskimos“ oder „Singhalesen“ wie Tiere im Zoo ausgestellt wurden, konnte die gebürtige Amerikanerin und Wahlberlinerin in den Stadtannalen Hinweise auf AfrikanerInnen in Berlin finden.

„Wie früher in den anderen europäischen Metropolen wurde auch in Berlin die Anwesenheit von ethnischen Minderheiten und Einwanderern in der Darstellung der Stadtgeschichtsschreibung ausgeblendet“, schreibt Paulette Reed Anderson in ihrer Einleitung. Bei ihren Recherchen ginge es ihr nicht darum, ein eigenes ethnisches Bewußtsein der afrikanischen Diaspora zu forcieren, sondern sie versteht die Geschichte der AfrikanerInnen in Berlin „als Teil der Berliner Stadtgeschichte“.

„Ich fühle mich als Wissenschaftlerin verpflichtet, etwas gegen Geschichtslücken zu tun“, erklärt sie ihre Motivation. Nicht zuletzt sieht sie in Unwissenheit auch eine der vielfältigen Ursachen für Rassismus und fremdenfeindliche Übergriffe. Anderson versteht sich selbst als Angehörige der afrikanischen Diaspora und will mit ihren Recherchen auch einen Beitrag leisten, die Geschichte der AfrikanerInnen aus der Sicht der Betroffenen aufzuarbeiten.

Bei ihren Nachforschungen stöberte sie in alten Zeitungsarchiven, Universitätsverzeichnissen, Theaterprogrammen, privaten Nachlässen und NS-Dokumenten. Sie trug die einzelnen Hinweise, Mosaiksteinchen einer nicht wahrgenommen schwarzen Geschichte in Berlin, zusammen. Als „Gerüst für weitere Recherchen“ versteht sie die Ergebnisse. Mit genauen Zahlen über die Größe der afrikanischen Diaspora in Berlin kann sie nicht aufwarten. Durchgeforstet hat sie Adreßbücher, die Register von Künsterlagenturen sowie die Verzeichnisse von Hotels und Pensionen.

„Die größte Gruppe bilden Menschen aus den ehemaligen deutschen Kolonien, inbesondere Kameruner“, faßt Anderson ihre Ergebnisse zusammen: „Eine weit kleinere Gruppe kam aus den USA oder Großbritannien. Mit der Internationalisierung der Unterhaltungsbranche kamen um die Jahrhundertwende viele Gastgruppen, Künstler, Sänger, Schauspieler und Artisten über die Künstleragenturen nach Berlin und einige blieben hier.

Die Forschung in diesem Gebiet wurde völlig vernachlässigt und geht allzuoft noch vom alten kolonialen Blickwinkel aus“, erklärt Anderson die Probleme der Recherche, die sie im Auftrag der Ausländerbeauftragten durchgeführt hat.

Auch über Unterdrückung und Vernichtung der afrikanischen Minderheit in Deutschland durch die Nationalsozialisten schweigen sich die Geschichtsbücher bislang aus. Etwa 1.000 Menschen afrikanischer Herkunft lebten 1930 nach Andersons Recherchen in Berlin, viele davon mit deutschem Paß. In den „Wannsee-Protokollen“ wurden die Schwarzen in Deutschland unter der Rubrik „Neger“ oder „Mischlinge“ als verfolgungswürdige Gruppe in Deutschland vermerkt.

Die Diskriminierungen begannen mit Ausbürgerungen und Berufsverboten und endeten für viele Deutsche und Franzosen afrikanischer Herkunft im KZ. Anderson fand Hinweise auf insgesamt 2.000 Frauen und Männer afrikanischer Herkunft, die von Nazis in Konzentrationslagern ermordet wurden.

Paulette Reed Anderson: Eine Geschichte von mehr als 100 Jahren – die Anfänge der afrikanischen Diaspora in Berlin. Erhältlich bei der Ausländerbeauftragten des Senats, Potsdamer Straße 65, 10785 Berlin, Telefon: 2654-2351. Die Broschüre wird zum Unkostenbeitrag von 2 Mark abgegeben.