Zwei Schritte vor, zwei zurück

Berliner Ökobilanz – Teil 4: Die Schadstoffe in der Luft / Schwefeldioxid und Stickoxide nehmen ab, aber Ozon und Kohlenwasserstoffe steigen an  ■ Von Hannes Koch

Die Säuberung der Luft ist neben der Verbesserung der Wasserqualität der Bereich, in dem die Umweltpolitik ihre größten Erfolge zu verzeichnen hat. Auch der Himmel über Berlin hat seine natürliche Farbe teilweise zurückgewonnen. Die klassischen Smog-Situationen, ausgelöst durch Schwefeldioxid, Staub und Stickoxide, sind in den Hintergrund getreten. Doch das Wort Smog kommt trotzdem nicht aus der Mode: Steigende Ozon-Konzentrationen lösen den sogenannten Sommersmog aus. Außerdem steigt der Anteil der Kohlenwasserstoffe in der Luft an.

Trotz aller Ankündigungen und Umweltdiskussionen dauerte es nach dem Smog-Höhepunkt im Ruhrgebiet 20 Jahre, bis im damaligen West-Berlin endlich das Maximum der Schwefeldioxid-Emissionen aus Kraftwerken und Fabriken überschritten wurde. 1982 noch pusteten die Großanlagen mehr als 65.000 Tonnen pro Jahr in den Himmel. Die privaten Haushalte, deren Emissionen bereits Mitte der siebziger Jahre sanken, waren 1982 für rund 10.000 Tonnen und der Autoverkehr für knapp 1.500 Tonnen Schwefeldioxid verantwortlich. Nach Angaben von Umweltsenator Volker Hassemer hat sich diese Menge in den West-Bezirken bis 1993 auf ein Zehntel reduziert. Auch in den Ost-Bezirken dürften die Emissionen im Vergleich zu 1989 auf fast die Hälfte gesunken sein.

Dementsprechend ist die Luft, die die Bevölkerung einatmet, viel sauberer geworden. Die Immissions-Grenzwerte der Technischen Anleitung Luft (TA Luft) werden im Gegensatz zu früher an allen 40 Stationen der Berliner Luftgüte- Meßnetzes eingehalten. Während der Grenzwert für die durchschnittliche Jahreskonzentration bei 140 Mikrogramm (Millionstel Gramm) Schwefeldioxid pro Kubikmeter Luft liegt, bleiben alle Stationen unter 40 Mikrogramm.

Zwei Aspekte trüben die positive Bilanz jedoch: Grenzwerte sind, weil politisch festgelegt, mit Vorsicht zu genießen und schließen eine Gesundheitsgefährdung nicht immer aus. Zum anderen handelt es sich um Durchschnittswerte über ein Jahr: Kurzfristige, die menschlichen Atmungsorgane gefährdende Erhöhungen der Luftbelastung über den Grenzwert hinaus kommen trotzdem vor.

Der Austoß von Schwefeldioxid – im übrigen ein Verursacher des sauren Regens – sank, weil Kraftwerke und Fabriken mit Filteranlagen ausgerüstet wurden und man den Schwefelgehalt des verfeuerten Öls und der Kohle begrenzte. Außerdem wurden diese Energieträger, besonders bei den privaten Haushalten, teilweise durch schwefelärmeres Erdgas, ersetzt. Die Verbrennung von Kohle reduzierte sich in Berlin drastisch, weil die Zahl der Kachelöfen und Einzelheizungen, die nur eine Wohnung versorgen, abnahm. Aus diesem Grund sei es mittlerweile auch überflüssig, erklärt Luftspezialist Klaus Kutzner von der Umweltverwaltung, die Zahl der Kachelöfen per Verordnung zu senken. Das Problem werde sich in einigen Jahren von selber lösen, so Kutzner. Als weiterer Grund für das Absinken der Schwefeldioxid- Emissionen gilt der Zusammenbruch der Wirtschaft in Ost-Berlin.

Bei oberflächlicher Betrachtung entspannte sich die Lage auch beim Stickstoffoxid, das zu 57 Prozent von den Kraftfahrzeugen und zu 20 Prozent von der heimischen Industrie emittiert wird. Während die Stickstoffkonzentration in der Luft bis 1987 kontinuierlich anstieg, weil die Zahl der Autos zunahm, ist sie bis 1994 um rund 25 Prozent gesunken. Dies läßt sich erklären durch den vermehrten Einsatz von geregelten Dreiwegekatalysatoren bei Kfzs. Die Grenzwerte der TA Luft für Stickstoffoxid werden an allen Berliner Meßstellen im Jahresdurchschnitt eingehalten. Doch an vielen stark befahrenen Straßen kommt es teilweise zu dramatischen Überschreitungen.

Während der Grenzwert der TA Luft bei 80 Mikrogramm Stickstoffoxid liegt, gibt eine vom Umweltsenator 1993 veröffentlichte Studie die Belastung der Brückenstraße im Bezirk Mitte mit über 200 Mikrogramm an. Frankfurter Allee, Potsdamer Straße, Karl- Marx-Straße und andere liegen zwischen 150 und 200 Mikrogramm. Ab 150 Mikrogramm können Erkrankungen der Atemwegsorgane auftreten, zum Beispiel Schädigungen der Schleimhäute und Beeinträchtigungen der Lungenfunktionen.

Diese unmittelbare Gesundheitsgefährdung durch die Abgase reicht schon aus, um MedizinerInnen auf den Plan zu rufen. Doch das ist nur die eine Seite der Angelegenheit. Stickstoffoxid gilt zudem als ein wichtiger Vorläuferstoff des bodennahen Ozons, das heiße Sommertage zu einer Belastung werden läßt. Die Statistiken des Umweltsenators belegen keinen Anstieg der Ozonbelastung seit 1988. Wegen des ursächlichen Zusammenhangs mit dem wachsenden Autoverkehr kann man jedoch davon ausgehen, daß die Ozonkonzentrationen bereits während der siebziger und achtziger Jahre stark zugenommen haben.

Im vergangenen Jahr wurde der Wert der Europäischen Union (180 Mikrogramm), bei dessen Erreichen die Bevölkerung informiert werden muß, häufig überschritten. Wegen der spezifischen Wirkung der Autoabgase, die Ozon nicht nur verursachen, sondern auch schnell wieder abbauen, war die Zahl der Überschreitungen im Zentrum Berlins aber eher gering. So wurden in Mitte 6 Tage mit zu hohen Werten gezählt, in Neukölln 10 und in Wilmersdorf 13. Je weiter die betreffende Meßstation jedoch in Richtung Stadtrand liegt, desto häufiger die Überschreitungen. Am Stadtrand von Tempelhof waren es 14 und am Müggelsee 16 Tage.

Auch die Luftbelastung mit organischen Gasen, einer Vielzahl von Kohlenwasserstoff-Verbindungen, stieg bis Anfang der neunziger Jahre an. Diese entstehen etwa bei unvollständiger Verbrennung von Öl und Kohle oder durch Ausdunstung aus Farben. Ein wichtiger Emittent des krebserregenden Benzols ist der Autoverkehr. Die Umweltverwaltung geht davon aus, daß die AnwohnerInnen vielbefahrener Straßen Konzentrationen bis zu 300 Mikrogramm ausgesetzt sind. Für die meisten dieser Stoffe gibt es bisher keine gesetzlichen Grenzwerte.

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