Zu Hause und im Kreisverkehr

Welttheater im 3-Minuten-Format: Der Berliner Liedermacher Funny van Dannen treibt im Swimmingpool der Zeit – und macht außerdem noch wirklich gute „Mussig“  ■ Von Thomas Groß

Gib es zu, gib es zu, gib es zuuu ...“ – Konzerte mit Funny van Dannen haben etwas von Verhören. Oder auch von Nötigung. Ein Mann, eine Gitarre, ein kleines Sing-along, eine Kurve in den Refrain, und schon hat er dich. Hier lache ich und kann nicht anders. Hier weine ich und find' es gut. Hier weiß ich gar nit mehr, wie mir geschieht. Mich wundert, daß ich fröhlich bin.

Von eigensinnigen Wohnmobilen handeln die Stücke, von Kaugummis, die Angst vor Zähnen haben, Messern, die am ewigen Schneidenmüssen zerbrechen; von aus der Art geschlagenen Butterkeksen, kommunikationsverachtenden Telephonen, Regen, Wettern, Winden, Pferden, roten Schuhen und anderen Lebewesen: „Sie heißen Milbe, und sie heißen Mensch, sie leben auf derselben Ranch.“ Durchaus die leichtere Muse also, doch wie gesagt: Scheue Gedankenrudel werden von diesem Gesang aufgestöbert und in Geiselhaft genommen. Licht aus, Spot an – der Rest ist Kitzeln: Gib es zu, du bist ein Mitglied im Fanclub der Sehnsucht. Gib es zu, du bist eine Welle im Swimmingpool der Zeit. Gib es zu, du warst beim Funny-van-Dannen-Konzert.

Ein ganzer Stall voll war wieder da, als Funny neulich in Hamburg auftrat, im Café Treibeis und im Golden Pudels Club. 100pro kommt die Begeisterung auf Konserve nicht rüber, die Lieder wie „1.000 Dinge“, „Naturfilme“, „Gutes tun“ oder „Po-Sex und Poesie“ bei ahnungslosen, sogar auch moralisch gefestigten Menschen anzurichten vermögen. Dafür darf das Hamburger Publikum sich rühmen, auf „Clubsongs“, der ersten van-Dannen-CD, verewigt zu sein. Und das will was heißen! Seit jüngstem geben sich die Interviewer bei Funny, der mit Frau, drei Kindern, zwei Rennmäusen und diversen Wellensittichen eine Berliner Altbauwohnung bevölkert, die Klinke in die Hand. Alle wollen ihn, sogar Tempo. Tja. Sieht ganz so aus, als hätte der Ruhm an die Haustür des 37jährigen Wahlkreuzbergers geklopft.

Och jaaa, so wild ist das ja noch nich“, wiegelt der ab. Jetzt erst mal zehn Tage Konzerte in Süddeutschland und „'n paar Sachen in der Schweiz“, dann weitersehen. Wer wie van Dannen über Jahrzehnte hinweg mehr oder weniger unentdeckt vor sich hingebosselt hat, bewegt sich – Tempo hin oder her – auf einem eigenen Zeitstrahl. Berlin findet er schon okay, da hat man seine Ruhe. Hatte man jedenfalls mal. Andererseits „kannste hier auch reifen, biste faul bist“.

Krisen gab es, so gesehen, natürlich auch. Mit dem Leben, der „Mussig“ (O-Ton van Dannen), dem Singen. „Irgendwann kam es sogar ganz zum Erliegen, und denn fing das wieder so, fing das wieder so – tja, wie fing das denn eigentlich wieder an?“

Stunden später, der dritte Pott Kaffee ist leer, die gerade greifbare Rennmaus vorgeführt, der Älteste ins Prinzenbad geschickt, sind zumindest einige biographische Eckdaten hervorgelockt.

Geboren bei Limburg an der holländischen Grenze („aber nicht dem mit dem Käse, glaube ich“), gesungen: Och, eigentlich schon immer. Am Anfang noch regional gebunden, in der Tradition niederrheinischer Troubadours wie Jo Erenz und Fritz Rademacher, „aber die kennt hier ja keiner“. Später in Combos wie – „Ja, wie hießen wir denn nochmal: Die Träumenden Knaben“. Oder so. Ausgebildeter Grafiker, aber schon immer mehr freischaffend. Malt auch „richtige“ Bilder. Seit vier Jahren Hausmann. Mehrere Lieder für die Lassie Singers, wie beispielsweise das tiefsinnige „Junge Menschen“, doch eine gemeinsame Band scheitert an familiären Verpflichtungen.

Von den Kindern will van Dannen trotzdem keinerlei Inspiration für seine Lieder geborgt haben, wie es ihm oft unterstellt wird. Höchstens mal die eine oder andere treffende Beobachtung. Zum Beispiel, daß Tarzan und Jesus die gleichen Unterhosen tragen.

Etwas Kindliches haben sie aber schon, diese Songstücke, in denen die Dinge polymorph im Viereck springen, Fairneß fordern und Rache üben. Animismus à gogo. Vor dem Tresen, hinterm Tresen – überall sind Lebewesen. Mal verwandeln sie sich in Engel auf der Bettkante, mal machen sie in Naturfilmen mit. Bei Gelegenheit verkleiden sie sich auch als unbekanntes Pferd, das mit heroischer Geste heimgeschickt wird, denn: „Es ist schon spät, und ich kann dich nicht reiten“ – je nach Neigungswinkel als moralische Fabel oder sublimer Songporno zu lesen. Endreime klammern das Ganze mit knapper Not zusammen. Gelegentlich kommt auch mal eine waschechte Katastrophe hereingesplattert.

Noch näher am Echt- und Blödsinn gebaut sind die Kurzgeschichten, die das Multitalent van Dannen ganz nebenher auch noch schreibt. Da mündet dann der Fuchsbau in die Hasenscharte, und die Hausfrau Else Schtreng schlägt erschrocken die Luke zum Nirvana zu, die sie beim Spargelputzen aus Versehen aufgestoßen hat. Wie kommt so was ins Gehirn reingeschneit? Ist Alkohol da mit im Spiel?

„Och, wie sowas kommt? Das fiel mir mal so ein, und dann ging das ganz flüssig. Manches kommt auch aus der Zeitung, da gibt es mitunter die schönsten Sachen. Irgendwann paßt es dann halt. Mal so, mal so. So in dem Dreh. Schön ist es, wenn es nach mehreren Seiten offenbleibt. Zuviel sollte man da nicht draufpacken. Ich meine: En Lied is en Lied.“

Meine Güte: En Lied is en Lied is en Lied - da haben wir's wieder. Im Regen stehengelassen. Gegen Interpretationen hat Funny van Dannen sich imprägniert, aber der stille Naive, den er mimt, ist er dann doch nicht. Auch nicht der singende Spaßvogel fürs Sommerloch. Schon gar nicht der Apologet der siebziger Jahre, den manche aufgrund seines populärsten Songs aus ihm machen wollen: „Als Willy Brandt Bundeskanzler war“, hatte F. v. D. zwar noch kein schütteres Haar, aber einen Nostalgiker macht das kaum. Denn das ist lange her, John Lennon lebt nicht mehr. Und auch wenn wir damals so unbeschwert waren – „sogar beim Geschlechtsverkehr“ –, will das Werk (ja: das Werk!) mehr als sein Autor. Die Siebziger, als Ute Lemper noch kein Star war, Video noch Latein, CD ein Kürzel für Seife und Squash noch kein Sport, sind bloß der letze Fixpunkt, bevor alles ex- oder – je nach Geschmack – auch implodiert ist.

Gutes tun, Gutes tun, Gutes tun ist gar nicht schwer, man kann soviel Gutes tun, zu Hause und im Kreisverkehr ...“ – Funny-van-Dannen-Songs sind stille Blätter gewissenhaft moralfreier, anschaulicher, süßsaurer Sinnvergiftung. Sie lassen zwar die äußere Form – die ohrenfreundliche Melodie, das „pfiffige“ Akkordschema, das melancholische Finish – intakt, sie malen Idyllen an Höhlenwände, lassen den zwielichtigen Kumpanen Fortschritt und Zukunft aber zugleich keinerlei Ausweg. Da erstickt vieles, da fällt manches zusammen – fast wie in einem Roman von Jutta Ditfurth, nur hier weniger aus erzählerischer Anarchie als aus poetischem Prinzip: Crashtest-Dummies krümmen sich schwer in der Straßenverkehrsordnung des Lebens. Plötzlich stehen alle Ampeln auf Blau, eine Frau fährt durch die Hauptstadt der Gefühle, und depressive Hypochonder tragen Hüte mit Herzen aus dem Winterschlußverkauf.

Ist das nicht lustig? Ist das nicht die reine Katastrophe? Die Welt ist, was der Fun ist, und das kann man drehen und wenden, zuckern und zimten, pfeffern und salzen, nie im Leben aber mehr abschaffen. Höchsten bedichten. Bei Funny van Dannen wird das Welttheater im 3-Minuten-Format genießbar. Das ist wenig. Das ist viel. Das muß in diesem Fall genügen. Und Klappe.

Ich weiß, wo Funny van Dannen lebt. Ich weiß auch, wie er richtig heißt, aber ich verrate es nicht. Denn ist es nicht viel schöner, wenn die Leute sagen: Schaut mal, da kommt Funny, der Typ mit diesen tollen Liedern? Nützt es vielleicht jemandem, daß er im echten Leben – fast wie in seinen Geschichten – Joe Bürobedarfsky heißen könnte? Oder Hansi Blötkontainer? Oder Linda Love? Oder – Berliner hergehört! – Krumme Lanka?

Leute: Das bringt die Aufklärung doch auch nicht voran! „Die Menschen sind klasse“, sagt eine sinistre Abendmutter in einer der Geschichten, „sie leben einfach so drauflos und hinterlassen Spuren.“

Funny van Dannen: „Clubsongs“ (Trikont)

Bücher: „Spurt ins Glück“, „Jubel des Lebens“ (Maas Verlag). Neu annonciert: „Am Wegesrand“ (voraussichtlich Herbst 95)