Nichts für die wütenden weißen Männer

US-Präsident Bill Clinton will die „affirmative action“-Programme zur Förderung benachteiligter Gruppen beibehalten. Lob von Jesse Jackson, Ärger bei den Republikanern  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Nichts glauben und alles für möglich halten. Unter diesem Motto versammelten sich am Mittwoch VertreterInnen von Frauenorganisationen, Bürgerrechtsgruppen, Interessensverbänden der Afro- und Hispanoamerikaner in Washington, um der lange erwarteten Grundsatzrede des US-Präsidenten über affirmative action zu lauschen, über die vieldiskutierten Förderprogramme für Benachteiligte. Die Worte Bill Clintons, so hatten seine Mitarbeiter den Gästen versprochen, seien so ganz nach dem Geschmack des politisch liberalen Spektrums. Doch die meisten kamen mit zwei Spickzetteln in der Tasche: Einer mit lobenden, der andere mit kritischen Worten beschrieben. Man weiß bei Bill Clinton eben nie so recht im voraus, was er sagen wird.

Am Ende zeigten sich alle Anwesenden angenehm überrascht. Clinton, der vor kurzem noch angedeutet hatte, dem Druck der Republikaner in Sachen Antidiskriminierungspolitik nachgeben zu wollen, gab sich am Mittwoch als unerschütterlicher Anhänger von affirmative action. „Das Ziel, Diskriminierung in diesem Lande abzuschaffen“, erklärte er, „ist noch lange nicht erreicht.“ Wohl wahr. Sind doch gerade in den letzten Tagen zwei Bundesbehörden, das FBI und das „Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms“ (ATF) wegen rassistischer Vorfälle in die Schlagzeilen geraten. Beim jährlichen „Good Ol' Boys Roundup“, einem Grill- und Bierfest von mehreren hundert weißen Polizisten waren – „zum Spaß“ – „Nigger Check Points“ aufgestellt und T-Shirts verkauft wurden, auf denen Martin Luther King im Fadenkreuz zu sehen ist.

Vor diesem Hintergrund hat Clintons Entscheidung, keines der vom Bundesstaat initiierten Programme zu streichen, zusätzlich an politischer Bedeutung gewonnen. In seiner Rede präsentierte der Präsident die Ergebnisse einer mehrmonatigen Studie des Weißen Hauses, in der nicht nur die Fortsetzung von affirmative action für notwendig erklärt, sondern auch der Erfolg dieser Politik in den vergangenen Jahren konstatiert wird. Es sei schließlich „nicht irgendeinem evolutionärem Wandel“ zuzuschreiben, wenn sich die ökonomische und soziale Lage vieler Schwarzer nach der Aufhebung der Rassentrennungsgesetze verbessert habe. Affirmative action habe nicht nur den betroffenen Frauen und Minderheiten geholfen. „Es war gut für Amerika.“

„Verbessern, aber nicht abschaffen“ lautete deshalb seine Kurzformel. Clinton versprach, seine Regierung werde sich weiterhin gegen Quoten und gegen „umgekehrte Diskriminierung“ einsetzen und, wo immer diese praktiziert würden, gerichtlich dagegen vorgehen. Mit einer Exekutivorder wies er am Mittwoch zudem alle Bundesbehörden an, ihre affirmative action-Programme einer Prüfung zu unterziehen. Doch gleichzeitig betonte er, daß die Mehrheit aller Antidiskriminierungsklagen die Benachteiligung von Frauen und Minderheiten beträfen, „denn sie sind es, die nach wie vor am meisten diskriminiert werden“.

„Eine tapfere Rede“, sagt Myrlie Evers-Williams, Witwe des 1963 ermordeten Bürgerrechtlers Medgar Evers und seit kurzem Vorsitzende der „National Association for the Advancement of Colored People“ (NAACP), einer der traditionsreichsten, derzeit aber krisengeschüttelten Bürgerrechtsorganisation. Lob kam auch von schwarzen Kongreßabgeordneten und von Jesse Jackson, der Clinton in den letzten Monaten immer unverhohlener gedroht hatte, ihm für seinen bevorstehenden Wahlkampf jede Unterstützung zu entziehen und sogar selbst zu kandidieren, wenn sich der Präsident auf der Suche nach den white angry males, den „wütenden weißen Männern“ in der Wählerschaft weiter nach rechts bewege.

Von seiten der Republikaner war zu niemandes Überraschung wenig Positives zu Clintons Rede zu hören. Kaliforniens Gouverneur Pete Wilson, der seinen Kampf um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Republikaner vor allem auf seine Kampagne gegen affirmative action stützt, beschuldigte den Präsidenten, mit seiner Antidiskriminierungspolitik zur „Tribalisierung“ der US-Gesellschaft beizutragen.

Sein innerparteilicher Konkurrent Bob Dole, der als Mehrheitsführer im Senat eine weitreichende Gesetzesvorlage zur Abschaffung bundesstaatlicher affirmative action-Programme eingebracht hat, will nun erst recht die Abstimmung seines Vorschlages forcieren. Allerdings gibt es inzwischen auch in seiner Partei moderatere Alternativvorlagen. Daraus einen Kompromiß zu formulieren dürfte nicht einfach werden.