Wir sind Tag und Nacht im Einsatz

■ Peter Maxwell leitet terre des hommes, Schweiz. Er hat vor wenigen Tagen die westbosnische Enklave Bihać besucht

taz: In Bihać greifen die serbischen Streitkräfte wieder verstärkt an, sie wollen auch diese Enklave erobern. Vor einigen Wochen hat das UNO-Flüchtlingswerk UNHCR gemeldet, daß dort Menschen verhungert sind. Wie ist die Lage in dem Gebiet?

Peter Maxwell: Die internationalen Hilfsorganisationen können nur etwa 11 Prozent des errechneten Bedarfs in die Enklave bringen. Das heißt, ein Teil der rund 180.000 Einwohner hungert. Ein Kilogramm Mehl kostet etwa zehn Mark, für ein Kilogramm Zucker müssen 20 bis 30 Mark hingeblättert werden, für ein Liter Öl rund 30 Mark. Das können nur diejenigen kaufen, die Geld aus dem Ausland erhalten. Ich denke, das ist etwa die Hälfte der Bevölkerung. Andere wiederum haben ein Stück Land, einen Garten, oder sie haben Verwandte, die Landwirtschaft betreiben. Die neue Ernte steht vor der Tür, das ist immerhin etwas. Auch diese Gruppe kann sich über Wasser halten. 20 Prozent der Bevölkerung jedoch, rund 35.000 Leute – und das sind nicht nur Flüchtlinge – haben weder das eine noch das andere. Diesen Leuten geht es sehr, sehr schlecht.

Die internationalen Hilfsorganisationen haben öffentliche Küchen eingerichtet. In der Stadt Bihać allein werden so 4.500 Leute mit einer Mahlzeit pro Tag versorgt, aber auch in Cazin und anderne Städten und Dörfern gibt es diese Küchen. Meine Organisation versucht jetzt, Lebensmittel in die Enklave zu bringen. Wir konnten letzte Wochen Familienpakete aus der Schweiz an bedürftige Familien verteilen.

Im nördlichen Teil der Enklave, in dem Gebiet des von Bosnien abgefallenen muslimischen Politikers Fikret Abdic, ist die Lebensmittelsituation weniger dramatisch, dort haben die Leute zu essen. Daher liefern wir Hygieneartikel. Und auch die serbische Bevölkerung in der Krajina braucht solche Dinge, Lebensmittel hat sie, es gibt Landwirtschaft, viele besitzen Land.

Wie ist es überhaupt möglich, Hilfe in die von den Serben eingeschlossene Enklave zu bringen?

Alle Hilfsorganisationen stehen vor großen Problemen. Die kroatische Regierung will nicht, daß Hilfe in die serbischen Gebiete der Krajina gelangen, die Krajina-Behörden wollen nicht, daß Hilfe in die Bihać-Enklave kommt.

Angesichts der Entwicklung in Srebrenica und Žepa steigen die Befürchtungen, daß auch Bihać bald von den Serben erobert werden könnte ...

Mein Eindruck ist, daß der Wille, sich zu verteidigen, ungebrochen ist. Fast alle Männer sind für den aktiven Dienst in der Armee mobilisiert. Die Enttäuschung über das Verhalten der UNO in Srebrenica ist jedoch auch hier sehr groß. Einige Repräsentanten erinnerten daran, daß der damalige Befehlshaber der UNO-Truppen in Bosnien, General Rose, im Herbst 1994 die Demilitarisierung Bihaćs vorgeschlagen hat. Sie seien jetzt froh, dies damals abgelehnt zu haben. UN-Militärbeobachter erklärten mir, daß Bihać sehr gut verteidigt wird. Es bestünde in absehbarer Zeit sogar die Möglichkeit, daß die kroatisch-bosnischen Truppen von Süden her den serbischen Belagerungsring durchbrechen können.

Was wollen Sie nach den Vertreibungen aus Srebrenica und der anstehenden Evakuierung Žepas jetzt tun?

Meine Kollegen in Tuzla sind Tag und Nacht im Einsatz. Die Aktivitäten aller Hilfsorganisationen sind durch eine Kommission koordiniert. Wir brauchen Geld für Lebensmittel, für Zelte, für Medikamente und für unsere schon etablierten Projekte im Bereich der Sozialarbeit. Unsere Leute besuchen die Familien und versuchen die schwierigsten Probleme zu lösen. Interview: Erich Rathfelder