Dicke, Raucher, Sportler – wer zahlt für ihr riskantes Leben?

■ Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen / Frank-Ulrich Montgomery vom Marburger Bund zu den neuesten Sparplänen

Bonn (taz) – Niemand wolle Abstriche vom heutigen Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen oder eine „Zweiklassenmedizin“, sagte gestern Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) bei der ersten Gesprächsrunde der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen in Bonn. Und niemand wolle das bewährte System der sozialen Krankenversicherung auf den Kopf stellen, beruhigte er das Gremium, zu dem Vertreter von insgesamt 44 Kassen-, Ärzte- und Apothekerverbänden, Hersteller und Krankenhäuser sowie Tarifpartner, Länder und kommunale Spitzenverbände gehören. Einziges Thema der Sondersitzung war das Gutachten des Sachverständigenrates für die geplante dritte Stufe der Gesundheitsreform. Der Rat hatte unter anderem vorgeschlagen, bei den Tarifen die Zu- und Abwahl von Leistungen und damit Einfluß der Versicherten auf die Höhe der Prämien zu ermöglichen.

taz: Herr Montgomery, die Sachverständigen fordern in ihrem Gutachten zur dritten Stufe der Gesundheitsreform eine Zusatzversicherung für Auto- und Motorradfahrer. Gewöhnen Sie sich das Fahren schon ab?

Montgomery: Nein. Man darf das Gutachten an diesen Stellen nicht überbewerten. Es versucht hier, einen bestimmten Punkt anzusprechen. Ob das funktioniert, ist eine ganz andere Frage. Denn wie behandeln Sie den passiven Verkehrsteilnehmer? Das sind ungeklärte Rechtsfragen. Dennoch wird hier eine Grundsatzfrage angesprochen: Umfaßt Krankenversicherungsschutz global alles, was mit Krankheit zu tun hat? Ist auch der, der eine hochgefährliche Sportart betreibt, voll mitversichert? In der Solidarität müssen wir, wenn das Geld knapp wird, entscheiden, wie sehr man sich selbst schädigen darf.

Die Experten schlagen vor, Raucher, Übergewichtige und Menschen, die viel Alkohol trinken, finanziell stärker zu belasten. Leben lustfeindliche Asketen länger?

Nein, die sind durch ihre Askese genauso gefährdet wie der Epikureer. Es geht immer um das erkennbare Übermaß. Wir Ärzte wollen keine Gesundheitspolizei sein. Deswegen kann es nie über einen besonderen Zuschlag zur Krankenversicherung funktionieren, sondern nur über Zusatzsteuern auf das schädigende Genußmittel, die in die Krankenversicherung mit einfließen.

Für das Idealgewicht soll es einen Bonus geben ...

Was ist das Idealgewicht? Man kommt ja von den alten Meßmethoden weg und rechnet kompliziert den Body Mass Index aus. All das eignet sich nicht, um Beitragskategorien in der Gesetzlichen Krankenversicherung festzulegen.

Gibt es keinen anderen Weg, die Menschen zu einem gesünderen Leben zu bringen als mit Sanktionen?

Das geht nur über Lernen. Wir haben in den letzten 20 Jahren gesundheitsbewußtes Verhalten propagiert, aber mit geringem Erfolg. Interessanter ist die Frage, ob wir es uns angesichts knapper werdender Mittel in der Gesundheitsversorgung noch leisten können, darüber zu diskutieren, nachgewiesenermaßen sinnvolle Methoden nicht mehr anzuwenden, wenn wir gleichzeitig viel Geld in zweifelhaft wirksame Methoden investieren.

Was meinen Sie damit?

Etwa die Diskussion um die Rationalisierungselemente. Es wird darüber nachgedacht, ob man, wie in England, eine Dialyse bei Patienten, die älter als 65 Jahre sind, nicht mehr durchführt oder daß eine Lebertransplantation nur bei Patienten gemacht wird, die ihre Leber zum Beispiel nicht beim Trinken ruiniert haben. Wir Ärzte haben große Sorge, daß wir aus ökonomischen Gründen eines Tages eine sinnvolle und medizinisch machbare Leistung vorenthalten müssen. Es ist besser, jetzt zweifelhafte, aber ideologisch überhöhte Dinge wie Kuren wegzulassen, bevor wir sinnvollere Maßnahmen aus der gesetzlichen Krankenversicherung nehmen.

Wie kann man sonst im Gesundheitswesen noch sparen?

Die große Bürokratie bei Kassen, Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenhäusern kostet zuviel Geld. Mit einem nicht ganz so extremen Datenschutz könnte man auch eine Menge Geld sparen. Interessant ist die Neugestaltung der Familienversicherung, wonach ein Ehepartner, der keine Kinder oder Pflegebedürftigen betreut, beitragspflichtig wird. Gleiches gilt für die Zusatzeinkünfte, die künftig bei der Krankenversicherung berücksichtigt werden sollen. Das ist ein echtes Einfordern von Solidarität. Interview: Karin Nink