Struppi lebt hier nicht mehr

■ Sag mir, wo die Hunde sind: Im Westen verschwand jede zehnte Töle. Ist der Oma-Schwund, die Wohngemeinschaftsmisere oder der Hauptstadtwahn schuld?

Hutzelige kleine Omis mit „Struppischatz“ an der Leine, grünhaarige Punks, die mit Unterstützung von treuen Hundeaugen „Haste mal 'ne Mark“ betteln, oder Fünfer-WGs mit Straßenkreuzung aus dem Tierheim sind seit der Wiedervereinigung zumindest im Westen der neuen Hauptstadt nicht mehr zeitgemäß.

Nach Angaben des Statistischen Landesamtes ist die Zahl der Wessi-Hunde von fast 70.000 im Jahr 1990 auf heute 64.000 geschrumpft. Im Osten der Stadt dagegen kommen immer mehr Leute auf den Hund. Um mindestens 4.000 Ossi- Kläffer ist die Statistik seit der Wende angewachsen.

Klar, mit der Kür zur neuen Hauptstadt wollen die WestberlinerInnen endlich ihr muffeliges Provinzimage loswerden und formieren sich zu weltmännisch/-fraulichen MetropolenbewohnerInnen. Spießige Tölen sind da genauso fehl am Platze wie Jogginghosen und weiße Tennissocken in Badelatschen.

Aktenköfferchen und Armani- Sakko jung-dynamischer Geschäftsyuppies oder auch unabhängigkeitsliebende Karriere-Singles ohne Sehnsucht nach Schmuserei liegen da schon eher im Trend. Graue Löckchen von cäsargefütterten Pudeln und dauergewellten reifen Damen sind vom Aussterben bedroht.

Möglicher Grund für die sinkenden Hundezahlen zwischen Brandenburger Tor und Wannsee könnte auch die Misere linksalternativer Wohngemeinschaften sein, die durch steigende Mieten aus den Hinterhof- Altbauten vertrieben werden. Vorbei auch die Zeiten, wo zwecks Gemütlichkeit und Familienatmosphäre ein struppiger Köter unterm WG-Tisch trotz täglicher Streitigkeiten – „Wer ist dran, mit dem Hund runterzugehen?“ – nicht fehlen durfte. Aber wer rennt schon gern fünfmal täglich 124 Stufen, weil der Köter mal sein Bein heben will?

Wo liegt nun die Ursache des Hunde-Booms bei der zweiten deutschen Wirtschaftswunder-Generation im Osten? Vielleicht sind die westlichen Vierbeinerfreunde einfach „rübergegangen“ und haben die Ost-Statistik in die Höhe getrieben. Hat sich doch ohnehin die Zunft der Kreuzberger Autonomen mit Schäferhundmischling, der im Waisenhaus für Tiere gesellschaftlich auch einer Randgruppe angehörte, mir nichts, dir nichts zum Prenzlauer Berg verkrümelt und für die neuen möchtegernlinken Erfolgstypen das Feld geräumt.

Aber wer weiß, ob bei den angestammten Berliner Ossis nicht einfach praktische Gründe für den Welpen unter dem Weihnachtsbaum ausschlaggebend sind. Wo hätte eine ausgewachsene Dänische Dogge Platz gefunden, wenn die Familie einen Sonntagsausflug ins Grüne im Trabbi unternahm? Ein Passat-Variant aus westdeutscher Wertarbeit oder Jeeps, die auf dem Großstadtpflaster jetzt voll im modischen Trend liegen, bieten natürlich einen ganz anderen Komfort.

Vielleicht findet die Hunde-Bewegung in Zahlen sowieso nur auf dem Papier statt: Die Oberfinanzdirektion in Berlin vermutet nämlich eine hohe Dunkelziffer krimineller HundehalterInnen, die ihren Fiffi gar nicht bei der Stadt angemeldet haben und fleißig Steuern hinterziehen.

180 Mark im Jahr kostet die Hundeliebe, weil die Berliner Stadtreinigung die Häufchen von Waldi und Hasso entfernen muß, und zwar 40 Tonnen Hundekot am Tag! Möglicherweise sind die Ossis da einfach staatstreuer als die Wessis, denen ja ohnehin das geldgierige Kapitalistenimage anhaftet.

Unter wesentlichen Geldeinbußen wird die zum Sparen verdonnerte Senatsverwaltung dank der Hundefans im Osten und trotz der Kötermuffel im Westen wohl nicht leiden. Die hauptstädtischen HundehasserInnen, die entweder aus Tierliebe auf eine nachhaltig sinkende Kläffer- Menge hoffen oder weil ihnen der Hundekot auf den Bürgersteigen und Spielplätzen stinkt, werden vom Statistischen Landesamt enttäuscht: Die Zahl der Fiffis pendelt sich in der Metropole auf etwa 94.000 ein, und da kommt kein Hund dran vorbei! Silke Fokken