Gute Schwule, böse Schwule

■ Eine Analyse der Presseveröffentlichungen zu dem Thema zeigt, daß Heinz Eggert nicht einfach über den Vorwurf des Schwulseins, sondern vielmehr über seine Unaufrichtigkeit gestolpert ist

Seit 1973 hat das Berliner „Schwule Pressearchiv“ einen Ausschnittdienst damit beauftragt, die Tagespresse nach Artikeln mit den Stichworten „homosexuell, schwul, lesbisch, bisexuell, transsexuell“ usw. zu durchforsten. Die Artikel werden archiviert; seit 13 Jahren dokumentiert und kommentiert die monatlich erscheinende „Schwule Presseschau“ die wichtigsten. Harald Rimmele betreut seit zehn Jahren die Rubrik „Lesben- und Schwulenbewegung/Politik“. Mit ihm sprach Klaudia Brunst.

taz: Ist Ihre Akte „Eggert“ schon sehr dick?

Harald Rimmele: Sie wächst täglich. Aber im Vergleich mit anderen Fällen, den Outing-Geschichten, der Kiesling-Affäre oder dem Mord an Sedlmayr, haben wir bisher vergleichsweise wenige Artikel bekommen. Die Boulevardpresse ist natürlich auf Eggert eingegangen, aber die bürgerliche Presse hat sich zurückgehalten.

Wie erklären Sie sich das?

Es hat sich gesellschaftlich in den letzten Jahren einiges für die Schwulen zum Positiven geändert.

Die Zeit der Diskriminierung ist vorüber?!

Natürlich gibt es immer noch den alten Kanon der Vorurteile gegenüber dem Homosexuellen mit seiner „Triebhaftigkeit“, seinem „Hang zu Kumpanei und Verschwörung“. Aber in der Presse wird seit längerem eine Trennung zwischen diesen Stigmata und dem Wort „Homosexualität“ eingehalten. Zu Eggert werden wohl einige Artikel deshalb nicht über den Ausschnittdienst kommen, weil das Stichwort „Homosexualität“ nicht fällt. Das Reizwort heißt hier „sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz“. Unterschwellig funktionieren die Mechanismen der Stigmatisierung gegen den mutmaßlich homosexuellen Eggert natürlich trotzdem.

Die sind?

Daß das Bild von dem triebhaften Eggert erst einmal geglaubt wird. Für einen heterosexuellen Politiker wäre der Vorwurf vielleicht nicht so existenzbedrohend geworden. Für Eggert ist er aber so skandalfähig, daß er zurücktreten mußte. Dadurch, daß sich Eggert nicht zu seiner ihm unterstellten Homosexualität bekennt, hat er ein gängiges Vorurteil, nämlich das des versteckten und verschwörerischen Schwulen, schon mal bestätigt. Auf diesem Hintergrund wird dann der Vorwurf seiner Mitarbeiter, er habe sie „sexuell belästigt“, mit dem Vorurteil des „triebhaften Homosexuellen“ aufgeladen.

Trotzdem wird die Affäre Eggert in den Medien als „sexuelle Belästigung“ kodiert und nicht als Homoskandal.

Der Vorwurf der Homosexualität allein funktioniert nicht mehr so richtig als Skandal. Bei Kiesling war das anders. Der bestritt ja auch vehement, homosexuell zu sein. Das hat Eggert eigentlich nicht gemacht, er hat sich nur auf sein Recht auf Privatsphäre zurückgezogen. Die Journalisten haben da ihre Haltung geändert, sie wollen keinen Skandal mehr daraus machen, daß jemand als homosexuell bloßgestellt wird. Da bietet sich jetzt der Vorwurf „sexuelle Belästigung“ natürlich an. Der wird aber durch die homosexuelle Komponente gewichtiger.

Homosexuellenfeindlichkeit an sich ist nicht mehr politisch korrekt?

Schon lange nicht mehr. Das hat sich durch die Aids-Berichterstattung sehr geändert. Aids hat den Homosexuellen eigentlich erst in die Medienöffentlichkeit getragen. Als Mitte der achtziger Jahre Der Spiegel die Angst vor der Seuche schürte, sind wir plötzlich in Artikeln erstickt, obowohl wir ja nur die Meldungen bekommen, die das Wort Homosexualität erwähnen. Heute kriegen wir pro Monat nur noch eine Handvoll Meldungen, die sich mit Aids beschäftigen.

Geblieben ist eine neue Homo- Freundlichkeit?

Ja. Im Zuge der Antirepressionskampagne gegen die rigide bayrische Linie hat sich in den Medien sogar eine sehr liberale Aids- Berichterstattung herausgeschält, die allerdings bei genauem Hingucken doch doppelzüngig geführt wird.

Inwiefern?

Vor Aids kam der Homosexuelle in der Medienöffentlichkeit eigentlich kaum vor. Es gab also kein sehr konkretes Bild. Seit Mitte der Achtziger hat sich das Klischee dann aufgespalten: Hier der gute Schwule, der monogam in einer eheähnlichen Beziehung lebt und natürlich Safer Sex praktiziert, und auf der anderen Seite der böse Homosexuelle, der uneinsichtig ist, triebhaft und promisk.

Wie es auch den guten und den bösen Aidskranken gibt?

Ja, genau.

Dann transportiert also das Thema „Homoehe“ das erwünschte, liberale Bild des guten Homosexuellen?

Genau. Deshalb war die Homoehe so ein Renner in den Medien. Bei der „Aktion Standesamt“ zum Beispiel hat die ganze Republik berichtet. Und verrückt daran war, man hatte den Eindruck, daß mehr Journalisten auf die Standesämter gegangen sind als Homosexuelle selbst. Es gab Berichte aus der Provinz, wo die Journalisten und Journalistinnen schließlich den örtlichen Standesbeamten interviewt haben, weil gar keine Homos da waren.

Ein echter Medienhype?

Ein gutes Thema für die Presse. Andere Themen, die uns viel wichtiger sind, wie „ausländische Partnerschaften“, die Situation von Aidskranken oder Asyl für verfolgte Homosexuelle laufen immer noch am Rande.

War die Outing-Kampagne Rosa von Praunheims für die Homoberichterstattung eigentlich hilfreich?

Praunheim hat seine Kampagne ja eigentlich gestartet, um wieder auf Aids aufmerksam zu machen. Aber das ist in der Presse vollkommen untergegangen. Das war ein Thema für die Klatschkolumnisten, der politische Effekt ist völlig ausgeblieben.

War die wohlwollende Berichterstattung über die geouteten „guten Schwulen“ wie Alfred Biolek oder Hape Kerkeling eine Möglichkeit, das eigene Blatt als liberal zu positionieren?

Ja, das ist die neue Linie. Am Fall Sedlmayr erkennt man, wo die Grenze verläuft. Wo der Homosexuelle ein Scheindasein lebt und dazu auch noch Sex mit Geld und einem „Milieu“ in Verbindung bringt, ist er dann sofort wieder der Bedrohliche, der Böse.

Gibt es eigentlich, unabhängig vom Thema, saisonale Konjunkturen für Homoberichterstattung?

Es gibt auf jeden Fall ein Winter- und ein Sommerloch.

In letzteres ist Eggert ja offensichtlich hineingefallen.

Man weiß natürlich nie genau, wie solche Skandale getimt werden. Aber die Informationen kamen, wie so oft in solchen Fällen, nur häppchenweise an die Öffentlichkeit. Ein gewisses Timing ist da vielleicht im Spiel. Und wenn der Beschuldigte dann in Urlaub ist, ist er den immer neuen Vorwürfen in gewisser Weise schutzlos ausgeliefert.

Ist Eggert denn nun, summa sumarum, ein guter oder ein böser Homosexueller?

Er ist eindeutig kein guter, weil er sich nicht zu seiner Homosexualität bekennt. Ich denke, als guter Homosexueller hätte er den Skandal vielleicht überleben können. Aber Eggert hat sich mit seinem Verhalten eben nicht als aufrichtig positioniert und kann dies womöglich auch gar nicht, weil er sich selbst nicht als Homosexuellen definiert. Er wird wahrscheinlich weiter in seiner Ehe leben und sich nicht offensiv zu seiner „Veranlagung“ äußern, sondern weiter seine heimlichen Vergnügungen leben, wenn er in Dresden ist.

Werner Veigel ist ja ganz gut damit gefahren, sich nicht nur zu seinem Schwulsein, sondern auch gleich zu seinem langjähigen Lebenspartner zu bekennen. Eggert hätte also Ihrer Meinung nach die Wende auch schaffen können, wenn er zum Beispiel gesagt hätte: „Die Vorwürfe sind alle erstunken und erlogen, aber es stimmt: Ich bin schwul, und übrigens gibt es seit zehn Jahren einen Helmut in meinem Leben.“?

So, wie sich die Kommentare lesen, hätte ihn das vielleicht retten können.

Die „Schwule Presseschau“ (Jahresabo ab 60 DM) ist zu beziehen über das „Schwule Pressearchiv“, c/o Asta der FU Berlin, Kiebitzweg 23, 14195 Berlin. Tel.: 030-8382224