Freikörper- Kultur- kampf

■ Ein Gespräch über Pornographie, Nacktheit und taz-LeserInnenbriefe

taz: Wenn in der taz nackte Brüste abgebildet werden oder irgendwas Nacktes, erhalten wir prompt eine Flut von LeserInnenzuschriften. Es wird sofort ein Ausbeutungsverhältnis vermutet. Dabei scheint völlig egal zu sein, in welchem Zusammenhang Nacktheit steht. Sie wiederum sagen, die nackten Brüste in der Mode sind etwas anderes als die in der Pornographie. Was ist anders?

Barbara Vinken: Pornographie suggeriert ja, daß das, was wir da sehen, die letzte Wahrheit ist, als sei da der Körper wirklich, so wie er ist. Mode hingegen spielt mit dieser Wahrheit, womöglich sogar mit ihrem pornographischen Gebrauch, und behandelt sie lediglich als eine Oberfläche.

Sie arbeiten zur Zeit mit mehreren anderen an einem Buchprojekt zum Thema Pornographie. Ist nicht schon alles gesagt, hat der wesentliche Schlagabtausch nicht längst stattgefunden?

Wir wollen versuchen, zwischen die klassische Trennung von „Liberalen“ einerseits, die alles erlaubt finden, und den härteren feministischen Zensurbegehrern eine dritte Position einzubringen. Wir sind eben der Auffassung, daß der FAZ oder dem Merkur, die für das „anything goes“ plädieren, auch einiges entgeht. Das gleiche gilt für die Feministinnen, die komischerweise in einem ähnlichen Muster argumentieren. Beide nehmen nicht zur Kenntnis, wie das, was heute in der Pornographie steckt, das Ergebnis einer historischen Entwicklung ist, die auf alle eine Wirkung gehabt hat. So gibt es zum Beispiel außerhalb der Pornographie keinen weiblichen Körper.

Und was ist dann der Körper von Steffi Graf?

Ein Sportlerkörper. Es gibt heute fast keine Darstellungsformen für weibliche, aber auch für männliche Körper mehr, die nicht in irgendeiner Weise pornographisch konnotiert wären. Die Mode kann sich auch nur noch auf diesen Bilderpool beziehen, meinetwegen ironisch. Die Nacktheit ist nicht mehr das Letzte, sie ist genauso Oberfläche wie das Kleid. Das Spiel von Verhüllen und der nicht mehr vorhandenen Nacktheit darunter wird in der Mode zum Thema, beispielsweise bei Gigli [ital. Designer, d.R.].

Welche Rolle spielt denn die Beziehung zwischen Männern und Frauen in dem Zusammenhang? Ich meine, den weiblichen Körper gibt es doch eigentlich gar nicht, wenn es keinen männlichen Körper gibt.

Natürlich gibt es die biologischen Körper, aber wir können sie nicht eigentlich erfassen, wir nehmen unsere eigenen Körper nur noch durch das Raster der Pornographie wahr. Frauen mehr noch als Männer, weil ihr Körper noch stärker verbildlicht ist. Wenn Sie zum Beispiel an die Freikörperkultur denken: Das war ursprünglich als das Gegenteil von Pornographie gedacht, als Körper, die sich jenseits von prüden Kodizes zeigen können. Heute ist FKK gänzlich in die Pornographie eingebunden. Ihre Magazine liegen inzwischen auch hinter den Perlenvorhängen. FKK ist also erfaßt von dem Blick, der aus der Lust handelt, etwas Verbotenes zu tun, und der voyeuristisch ist. Deswegen geht es auch gar nicht darum, Pornographie zu verbieten oder nicht zu verbieten, denn dieser Blick ist ohnehin omnipräsent. So erkläre ich mir auch die Reaktionen der taz-Leserinnen: Sie wissen, wie Nacktheit normalerweise betrachtet wird.

Die Autorinnen der Leserbriefe postulieren aber durchaus für sich, in einem pornographiefreien Raum zu leben.

Ich frage mich, wie das geht, wenn selbst H&M Reklame mit kleinen Mädchen macht, die wie mißbraucht aussehen. Ich weiß nicht, ob man das bedauern soll; ich finde den Stern ja auch schön, wenn vorne eine nackte Frau drauf ist. Da will ich gar nicht in so einen Opfer-Diskurs eintreten. Die Sache fängt da an, unerfreulich zu werden, wo die Pornographie behauptet, wirklich Nacktheit als den ultimativen Fetisch zu präsentieren, das geschilderte Verhältnis als Wahrheit zu behaupten.

Da kommen wir der Sache doch vielleicht ein bißchen näher: Daß die Auseinandersetzung plötzlich so heftig geführt wird, kann man doch nicht einfach den Bildern anhängen. Da hat sich doch zwischen den sogenannten „Männern und Frauen“ etwas geändert. Die Tatsache, daß man in einem pornographischen Bild zugleich die größte Intimität und eine gewisse Weltraumkälte sieht – das ist doch genau die Ambivalenz, mit der allenthalben gekämpft wird.

Die Pornographie wird, glaube ich, zu 99 Prozent von Männern konsumiert; es gibt da kein gleiches Verhältnis der Geschlechter. Was macht den Reiz der Pornographie aus? Das ist doch der Mythos von der naturgeilen Frau. Sie hat immer Lust und will mit jedem. Dieser Mythos wird als biologisches Faktum dargestellt. Das wiederum ist nur die Rückseite eines bestimmten puritanischen Diskurses, in dem der Frau die Lust verboten ist. Die Pornographie stellt in diesem Zusammenhang den Triumph des Mannes aus. Und auch eine gewisse Verachtung. Mag sein, daß es einige Veränderungen im Verhältnis der Geschlechter gibt, aber ich glaube, sie sind weniger radikal, als Sie das darstellen. Ökonomisch beispielsweise bin ich der Meinung, daß sich das Verhältnis nicht besonders geändert hat, auch der Trend zur Kleinfamilie wird wieder stärker. Es gibt im Moment zwei hervorstechende Themen: die deutsche Mutter und die Pornographie, die beiden altbekannten Pole.

Wo haben Sie die deutsche Mutter entdeckt? „Deutsch“ als Antipode zur Pornographie?

Ach, das beobachte ich so um mich herum; natürlich gibt es auch immer noch das Erbe der 70er Jahre, die Bemühungen, sich zu befreien, aber der überwältigende Trend geht hin zu einem recht traditionellen Zustand. Mit „deutsche Mutter“ meine ich nicht die Nationalität, sondern einen bestimmten Typ Mutter: sich alles versagend, aufgehend im Mütterlichen.

Das scheint mir doch ein wenig zu manichäisch; von den Müttern, die ich sehe, sind die wenigsten in Ihrem Sinne „deutsch“; dafür gibt es jede Menge vaterländische Pornographie; und die Kleinfamilie besteht vielleicht noch immer aus drei Leuten, hat sich aber trotzdem von der klassischen Triade emanzipiert ...

Das Versprechen der Pornographie war ursprünglich ja durchaus auch einmal etwas Emanzipatorisches; deshalb setzen sich ja noch immer so viele Leute dafür ein. Am Anfang stand die pornographische Darstellung von Autoritäten, vom König und seiner Familie, von der französischen Geistlichkeit – es war ein politisches Phänomen und ging Hand in Hand mit der bürgerlichen Emanzipation und der Entwicklung ihrer Kunst. Von diesem Nimbus profitiert sie noch immer, obwohl das angesichts dieser Riesenindustrie wirklich etwas grotesk erscheint.

Jetzt ist Ihnen da statt der Kunst zuviel Kommerz im Spiel?

Was heißt zuviel Kommerz; es ist doch nur noch Kommerz! Ich halte mich da an Foucault: Von Befreiung kann da doch gar keine Rede mehr sein. Es geht doch bloß noch um eine Formatierung von Sexualität.

Mitunter geht es doch auch schlicht um Spaß? Kann die Pornographie wirklich etwas erzeugen, das nicht schon da wäre?

Sie stellt einfach ein bestimmtes Bildarsenal zur Verfügung. Wenn Sie sich 5.000mal eine bestimmte Stellung angesehen haben, dann haben Sie dazu ein anderes Verhältnis, als wenn es darüber keine Bilder gäbe. Ich glaube gar nicht, daß da ein mimetisches Verhältnis entsteht, daß man geht und das nachmacht oder so. Nur die Vorstellung ändert sich. „Landschaft“ gibt es ja auch nicht einfach so, da gibt es auch historische, piktographische Entwicklungen.

In Ihrer Auffassung von Pornographie gibt es doch aber ziemlich wenig Geschichte, wenn Sie glauben, daß der puritanische Diskurs von vor über 300 Jahren noch wirksam ist ...

Aber er verstärkt sich dadurch, daß in den Medien und der gesamten Kultur der amerikanische Einfluß so groß ist. Wenn Sie andererseits das Schlußbild von Robert Altmans „Prêt-à-porter“ nehmen, also das Defilée der Nackten und der Schwangeren, das ist natürlich als ein Antidot zu dieser im Kern puritanischen Pornographie gedacht. Die Ironisierung der Unschuld des nackten Körpers, der nicht im Tand der Welt daherkommt. An solchen Bildern bricht sich der pornographische Blick.

Also gibt es doch noch ein Leben vor der Pornographie!

Ja, es ist ein Code, den man subversiv unterlaufen kann: Altmans Bild von der Schwangeren durchkreuzt das von der Braut, der man ihre Unschuld noch rauben muß. Deshalb sind Bilder von Nackten – das vielleicht an die Adresse Ihrer Leserinnen –, möglichst viele Bilder, wichtig; sie umspielen den pornographischen Code, der dadurch nicht mehr so absolut regiert. Gespräch: Mariam Niroumand