Kritik und Selbstkritik an der RAF

Birgit Hogefeld forderte gestern in Frankfurt mehr Selbstkritik der RAF / Hogefeld: „1985 hätte das eine Lawine losgetreten“ / Bundesanwalt Hemberger: „Sie haben mich enttäuscht.“  ■ Aus Frankfurt Heide Platen

Der Zuschauerraum war gut besetzt, ein Kühlaggregat blies Luft in den fensterlosen, stickigen Sicherheitssaal im Neubau des Frankfurter Gerichtsgebäudes. Die unter anderem wegen des Bombenattentats auf die US-amerikanische Rhein-Main-Airbase angeklagte Birgit Hogefeld bezog gestern Vormittag in für RAF- Verhältnisse ungewohnt eindeutiger Sprache Stellung gegen den ihr zur Last gelegten Anschlag.

Bei dem Attentat waren im Sommer 1985 zwei Menschen getötet und 23 verletzt worden. Zugang zu dem Gelände hatten sich die TäterInnen mit der Identitätskarte des GIs Edward Pimental verschafft, der zu diesem Zweck am Abend zuvor aus einer Diskothek gelockt und im Wald erschossen worden war.

Pimentals Ermordung – ein politischer Fehler

Hogefeld hatte sich seit Monaten auf ihre Rede vorbereitet. Anderthalb Stunden lang verlas sie ein 23seitiges Papier, in dem sie sich auf die RAF-interne und die externe Kritik an der Aktion bezog. Streit war schon kurz nach dem Anschlag vor allem über den Tod von Pimental ausgebrochen. Seine Ermordung galt damals einigen als politischer Fehler, wurde aber eingeordnet innerhalb eines ansonsten zu rechtfertigenden Kampfes gegen den Imperialismus.

Birgit Hogefeld stellte diese Sichtweise unter dem Beifall der ZuschauerInnen in Frage, vermißte die Selbstkritik der RAF und konstatierte, auch bezogen auf ihre eigene Lebensgeschichte, einen hohen Realitätsverlust ihrer GenossInnen.

Dieser, listete sie auf, sei aber nicht nur der eigenen Unfähigkeit geschuldet, sondern auch den äußeren Umständen. Dazu gehörten eine Elterngeneration, die Schuld und Verantwortung für den Faschismus ablehnte, unangemessene staatliche Verfolgung revolutionärer Gruppen seit 1968, Ungerechtigkeit und Ausbeutung in der Dritten Welt und der Vietnamkrieg. Daraus hätten die Militarisierung, das Leben im Untergrund, die Überidentifizierung mit den Befreiungskämpfen in aller Welt und letzlich die Entfremdung von Diskussions- und Lebenszusammenhängen im bundesdeutschen Alltag resultiert.

Sie verlangte eine Analyse: „Wie konnte es dazu kommen, daß Menschen, die aufgestanden waren, um für eine gerechte und menschliche Welt zu kämpfen, sich so weit von ihren ursprünglichen Idealen entfernt haben?“ Sie selbst habe sich radikalisiert, als sie Bilder des verhungerten RAF-Gefangenen Holger Meins gesehen, selbst Gefangene im Hungerstreik besucht habe und deshalb verfolgt worden sei.

Sie warf sich selbst und anderen elitäre und arrogante Gruppenstrukturen vor, „die keine Differenzen, geschweige denn Widersprüche“ ausgehalten hätten. Auch darauf sei es zurückzuführen, daß alte Gruppenmitglieder, die sich später in die DDR abgesetzt hatten, heute bei dem Prozeß als Kronzeugen aussagten.

Bundesanwalt Walter Hemberger warf ihr in seiner Gegenrede vor, nicht konsequent genug und „halbherzig“ zu sein, wenn sie nur den Mord an Pimental kritisiere, aber kein Wort über die beiden anderen beim Anschlag Getöteten und über die vielen Verletzten verliere. Auch dies seien Angriffe „gegen das Individum, seine Verletzlichkeit und seine Zerstörbarkeit“ gewesen. Sie habe dies aber „zerredet“, sich „hinter der Gruppe versteckt“.

Bundesanwalt ging die Kritik nicht weit genung

Hemberger verteilte am Ende seines Vortrags seine Zensuren: „Immerhin glaube ich bei Ihnen eine leichte Tendenz zu bemerken, auch Verantwortung zu tragen.“ Aber: „Dafür, daß Sie so lange daran gearbeitet haben, haben Sie mich enttäuscht.“

Rechtsanwalt Jochen Heumann, Vertreter der Nebenklage, ereiferte sich anschließend vor allem darüber, daß Hogefeld Hadamar erwähnt hatte. In einem Dorf in der Nähe dieses Ortes im Westerwald, in dem im Faschismus psychisch Kranke vergast wurden, hatte sie in der Kindheit erlebt, wie diese Ereignisse nach dem Krieg totgeschwiegen wurden. Er setzte gegen ihre Bilder der „klapprigen, dürren“ hungerstreikenden Gefangenen die der vom Sprengstoff zerfetzten Leichen von der Airbase und das von „Pimental, von hinten durch das Genick“ erschossen, und er zählte die RAF-Opfer von Buback bis Beckurts auf.

Birgit Hogefeld wies ihn darauf hin, daß ihre Erklärung mitnichten für Nebenklage, Bundesanwaltschaft und das Gericht, sondern für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen sei. Sie habe den Ort Gerichtssaal nur genutzt, weil dies „meine einzige Möglichkeit ist, öffentlich zu reden“. In diese Richtung hatte sie die Meßlatte tiefer gehängt. Sie vermutete, daß „die Entscheidung, sich ernsthaft der Kritik an der Erschießung des GIs zu stellen“, 1985 in der RAF „eine ganze Lawine von Fragen losgetreten hätte“ und deshalb abgewehrt worden sei, obwohl „alle zumindest gespürt“ hätten, „daß diese Kritik stimmt“.

Hogefeld ist außer wegen des Anschlags auf die Airbase auch wegen eines versuchten Attentats auf den ehemaligen Finanzstaatssekretär Tietmeyer 1988 und des Sprengstoffanschlags auf den hessischen Gefängnisneubau in Weiterstadt 1993 angeklagt. Außerdem soll sie sich für den Tod des Polizeibeamten Newrzella verantworten, der bei einer Schießerei auf dem Bahnhof in Bad Kleinen während ihrer Festnahme im Juni 1993 zusammen mit ihrem Begleiter Wolfgang Grams umgekommen war.