Keine Polizeihilfe an die Türkei

■ Wolfgang Grenz vom Flüchtlingsreferat amnesty international Deutschland zu Abschiebungen von Kurden in die Türkei

taz: Herr Grenz, im Rahmen einer engeren Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen will die türkische Regierung helfen, „den Terrorismus der PKK auf deutschem Boden einzudämmen“. Ist das mit rechtsstaatlichen Mitteln in der Türkei möglich?

Wolfgang Grenz:Das ist die große Frage. Denn die Türkei geht bei der Bekämpfung von vermeintlichen oder tatsächlichen Oppositionellen nicht mit rechtsstaatlichen Mitteln vor. Wir haben ja genau wie der Menschenrechtsverein in der Türkei ausführlichst dokumentieren müssen, was es dort an Verstößen gibt. Wenn man sieht, wie Menschenrechtsaktivisten gefährdet sind, wenn man bedenkt, daß in der Haft in den ersten zehn Monaten des vergangenen Jahres 29 Personen an den Folgen der Folter gestorben sind, die Zahl der Verschwundenen sich verdoppelt hat, dann gibt es schon große Zweifel, ob eine Zusammenarbeit in der jetztigen Situation überhaupt möglich ist.

Gleichzeitig wollen Bonn und Ankara Straftäterdaten austauschen.

Die Gefahr besteht, daß mit den weitergereichten Daten die türkischen Behörden Informationen bekommen, durch die dort lebende Verwandte gefährdet werden. Wenn bekannt ist, daß Leute hier in Oppositionsgruppen oder gar im PKK-Umfeld aktiv sind, wird Druck auf die Familienangehörigen ausgeübt. Es muß auch berücksichtigt werden, daß die Betroffenen selber bei ihrer Rückkehr gefährdet sind. Wir hatten 1983 den tragischen Fall von Cemal Kemal Altun, der damals ausgeliefert werden sollte und sich am 30. August aus Verzweiflung in den Tod stürzte. Er hatte den deutschen Behörden im Asylverfahren gesagt, daß gegen ihn in der Türkei zu Unrecht ein Strafvorwurf besteht. Diese Information teilten die deutsche Behörden den Türken mit, erst dann wurde ein Auslieferungsersuchen gestellt. Die Daten eines politisch Verfolgten dürfen nicht weitergegeben werden.

Bonn will helfen, türkische Polizisten aus- und fortzubilden. Was muß dabei beachtet werden?

Es dürfen keine Ausrüstungen geliefert werden, die bei Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden können. Es darf keine Polizeihilfe wie „Verbesserung der Vernehmungstechnik“ gegeben werden. Schließlich wird in türkischer Polizeihaft nach wie vor systematisch gefoltert. Das sagen nicht nur wir, sondern auch die Kommission des Europarates und der zuständige Ausschuß der Vereinten Nationen. Äußerungen aus türkischen Regierungskreisen wie „wir müssen im Kampf gegen die PKK weiter Folter anwenden, wie wollen wir die sonst in die Knie zwingen“ zeigen, daß ohne grundlegende Änderungen eine Polizeihilfe, die rechtsstaatlichen Forderungen gerecht wird, nicht geleistet werden kann.

Die türkische Seite hat erneut zugesichert, daß abgeschobene Mitglieder und Sympathisanten der PKK unabhängige Anwälte und Mediziner konsultieren könnten, sowie den deutschen Behörden ein „Nachschaurecht“ eingeräumt. Reichen diese Sicherheiten aus?

Das reicht in keiner Weise aus, und es ist unverständlich, wieso die Bundesländer sich weiter um dieses Verfahren bemühen. Das Hinzuziehen von Anwälten und Ärzten ist eine Kann-Bestimmung und muß im Staatsschutzverfahren von den türkischen Justizbehörden genehmigt werden. Nach der Strafprozeßordnung ist das zur Zeit gar nicht möglich, und in der Praxis hat die türkische Justiz das bisher nicht erlaubt. Was das „Nachschaurecht“ angeht, hat die deutsche Botschaft bisher immer mitgeteilt, daß sie die Möglichkeiten nicht habe. Es wird bei den Fällen, wo die Türkei Zusagen gibt, am Anfang natürlich nichts passieren, weil die Türkei sich das nicht leisten kann. Die entscheidende Frage ist, was passiert nach einige Monaten. Fühlt sich die Türkei dann noch an die Zusage gebunden oder sagt sie, es seien neue Straftatbestände aufgetaucht?

Was passiert, wenn Todesschwadronen jemand entführen, verschleppen und verschwinden lassen?

Zwar bestreitet die Regierung jede Mitverantwortung, aber es deutet viel darauf hin, daß die Todesschwadronen Kontakte zu den offiziellen Sicherheitskräften haben. Im übrigen sind die Zusagen, die die Türkei abgeben hat, nichts Neues. Die hat sie schon durch die Unterzeichnung der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Anti-Folter-Konvention geleistet. Die bisherigen völkerrechtlichen Zusagen hält sie aber nicht ein. Die Menschenrechtssituation hat sich nicht verbessert.

Abschiebungen von den Zusagen des Heimatstaates statt von der individuellen Verfolgungsgeschichte abhängig zu machen, ist das Ende des Flüchtlingsschutzes. Interview von Karin Nink