Schummeln nicht nötig

■ „Living Art“ verzaubern mit Witz und Geschick den Schlachthof

Nichts reizt die Besucher so sehr, wie dem Magier in die Karten zu schauen. Einmal nur sehen, wie das mit den Karten funktioniert. Verstehen, wie die scheinbar verschwundene Münze zwischen die Finger geklemmt auf der Handrückseite gehalten wird. Illusionstheater vom Feinsten hatten Living Art versprochen, und vor allem dank ihres virtuosen Spiels mit dieser Erwartung gelang es den Schweizern, trefflich Wort zu halten.

Der klassische Zauberer hat es schwer im multimedialen Zeitalter. Wer staunt heute noch, weil ein Onkel in Frack und Zylinder ein buntes Tuch aus dem Ärmel fischt? Jeder Knirps hat bereits auf der Leinwand Beeindruckenderes gesehen. Die vier Illusionisten um Conferencier und Obermagier Christoph Borer in der Kesselhalle mußten sich also etwas Neues einfallen lassen.

Schon die modernen Beats vom Band und die Erfindung von Borers profilneurotischem und urkomischem Zauberlehrling „Magic Benny“ zeigen, daß „Illusionstheater“ die klassische Zauberdarbietung weiterentwickelt hat: Der eigentliche Trick ist das Verpacken, die Kunststück an sich stehen kaum noch im Vordergrund.

Vor allem altbekannte Nummern wie das „Durchbohren“ erschienen im neuen Gewand. Aber das hatte es in sich. Trude spießt Benny beim Sangesduell auf den Mikroständer, statt Degen werden Besen durch ein Mülltonne gestochen, aus der Benny dann wieder unversehrt entsteigt.

Verspielt und humorvoll nahmen Living Art das Genre und seine Geschichte auf die Schippe. Die Standard-Nummern, bei denen nur Sachen aus dem Zylinder gezaubert werden, erledigt Borer ohne hinzuschauen. Eine freiwillige Statistin stellt den Rumpf bei dieser Trick-Parodie, dahinter kniet der Illusionist und stellt die Arme zur Verfügung. Die uralten Kunststückchen wirken dank dieses aberwitzigen Marionetten-Arrangements so unverbraucht, als hätte man noch nie gesehen, wie ein buntes Tuch in einem Ärmel verschwindet.

Eine Mischung aus Offenheit und scheinbarem Dilletantismus hängt die Meßlatte für das Gelingen der Tricks noch höher. Das hilft gegen Längen. Zuschauen ist konstant spannend. „Schummeln haben wir natürlich nicht nötig,“ verkündet Maestro Borer und erklärt in epischer Breite den Trick als solchen. Ein ambivalentes Spiel: Ein wenig läßt er sich in die Karten des Magierhandwerkes schauen. Damit lockt er aber das Publikum auf falsche Fährten.

Diebische Freude auf den Rängen, als der Maestro ausgerechnet nach dem theoretischen Diskurs über das Zaubern daneben rät. Die „Herz Zwei“ war im Spiel mit dem Gast aus dem Publikum nicht die gesuchte Karte. Borer schauspielert, macht händeringend den verzweifelten Künstler, dem irgendwo ein Fehler unterlaufen ist. Aber der Gag ist nicht das Kartenspiel, sondern die Siegerehrung. Der Spitzenpreis, ein Umschlag mit 20 DM, den der übertölpelte Magier scheinbar unwillig rausrückt, ist in Wahrheit nichts wert. Die Trostpreise, Umschläge mit bis zu 1000 DM, wären der Hit gewesen. Living Art blieben dem Publikum, das sich so nah dran glaubte, immer um eine Nasenlänge voraus. Daß die meisten Kunststücke im Grunde nur neue Bearbeiteungen der alten Klassiker waren und wirklich Neues fehlte, störte kaum. Denn was ist schon das Verwandeln eines bunten Tüchleins in einen Longdrink gegen das Verzaubern eines ganzen Saales?

Lars Reppesgaard

bis zum 6.8. täglich um 20.30 im Schlachthof (außer 27.7. und 1.8.)