Engel der Sehnsucht in Playback

■ Beim ersten Schlagerwettbewerb im „Bienenkorb“ wurde kein einziger Schlager prämiert

Schon vor Beginn des ersten Schlagerwetthewerbs drang es im Kneipen-Restaurant „Bienenkorb“ bedrohlich aus den Boxen: „Die Engel der Sehnsucht, sie sind verloren.“ Wollte man so den wackeren TeilnehnerInnen etwa schon im Vorfeld den Schneid abkaufen? Wenigstens hatte sich eine stattliche Anzahl Schlagerbegeisterter im rustikalen Holzambiente plus Spiegelwand eingefunden. Tapfer wurde verkraftet, daß der hemdsärmelige Gonferencier den Abend nit „einer guten und einer schlechten Nachricht“ eröffnete. Die schlechte, so meinte zumindest er, war, daß das Jury-Mitglied Drafi Deutscher sich doch noch in letzter Sekunde entschieden hatte, lieber in Stuttgart fürs Fernsehen als in Bremen für den Pöbel aufzutreten. Die gute Nachricht folgte stehenden Fußes: Drafi hatte als Vertretung seinen neuen und anonymen Sangespartner vorbeigeschickt, mit dem er das fiebrig ersehnte „Mixed Emotions“-Comeback anstrebt. Dem Jüngling als Richter zur Seite standen ein „Prinz“-Journalist, Produzent Jacky Barkow sowie das anwesende Volk, dessen Stimme allerdings geringer wog als die der Jury.

Von unterschiedlicher Stimmgewalt waren auch die 16 Beiträge der acht angetretenen Engel der Sehnsucht. Der eröffnende Tommy aus Hamburg gab sich textlich optimistisch mit dem Stück: „Das mit dir könnte gehen“, federte rhythmischst in den Knieen und sammelte beim älteren Teil des Publikums Sympathiepunkte durch schwiegerelternkompatible blonde Fönfrisur und dazu passenden weißen Pulli über rotem Hemd. Aber gegen vokale Schwergewichte wie die Bremerin Nicole konnte sein Stimmchen nicht bestehen. Ihre geschulte Darbietung englischsprachiger Musical-Evergreens ließ sogar vergessen, daß es sich dabei eigentlich nicht um Schlager handelte. Das Publikun, in dem mittelalte Kegelgeschwister ebenso vertreten waren wie schwule Dandys und neugierige Pop-Musiker, war wie die Jury auf ihrer Seite. Nicole wird also bald professionell im Studio schmachten, denn das war der erste Preis neben der Flasche Sekt, der Urkunde und dem spontan und gönnerhaft draufgelegten „Jahresabonnenent der Zeitschrift ,Prinz'!“

Auch Platz zwei und drei gingen an Hanseaten, Peter (3) und Linda (2), die sich weigerten deutsches Schlagergut zum besten zu geben. Besonders Peter lag nit einem Stück Dixieland und einem Blues-Rock komplett jenseits des Wettbewerbmottos. Flasche und Urkunde gab es dafür trotzdem.

Völlig leer hingegen gingen die aus, die sich mit Leib, Seele und Garderobe dem Schlager verschrieben hatten. Die reifere Hamburger Ghanteuse Angie Farell wagte sich beispielsweise als einzige mit einer ehrlich empfundenen Eigenkomposition über dunkle Reiter und dunkle Gefühle ins spärliche Rampenlicht, das vereint mit einem einsamen bunten Leuchtstoffband den Bühnenbereich illuminierte. Dieser bestand aus einem Stückchen Teppich nahe der Toiletten, wo man einfach ein paar Stühle weniger hingestellt hatte. Hier rackerte sich auch der Oldenburger Connie zum obligatorischen Halb-Playback redlich ab, konnte aber die Anwesenden mit seiner offenbar ehrlichen Liebe zum Schlager nicht anstecken. Obwohl sein weißes Rüschenhemd über krebsroter Brust das schönste des ganzen Abends war, war er der einzige, der einen verzweifelten „Genug! Genug!“- Ruf erntete. Aber Schlagerfans sind im Grunde gute und wohlmeinende Menschen, und so wurde der barsche Störenfried seinerseits mit einem energischen „Fiesling“-Ruf in seine Schranken verwiesen. Aggressivere Zwischenfälle gab es nicht. Im Gegenteil: Zu Marcos „Herzilein“-Gover schunkelte die Schankstube einträchtig, und Königin Nicole wollte niemand ohne mannigfaltige Zugaben nach Hause lassen.

Andreas Neuenkirchen