Sanssouci
: Nachschlag

■ Vom Wunder: Cirque du Soleil gastiert mit „Saltimbanco“

Das Wunder wohnt in einer festen Burg. Über die Zugangsberechtigung wird aus einem Wohnwagen heraus verhandelt, dessen Parzellen nur über Sprechanlagen, durch dickes Glas und Schiebevorrichtungen Kontakt zur Außenwelt gewähren. Das Wunder wohnt auch in einem fernen Land, wo statt Abgasen Popcornduft die Luft versüßt, wo selbstverständlich Oleander wächst, riesige, weißgoldene Wimpel wehen und das Grundnahrungsmittel Eiskrem ist. Und wo ein Wunder ist, da gibt es auch Reliquien: Geweihte T-Shirts, Krawatten, Tassen und sogar Schlüsselanhänger werden zum Kauf angeboten, denn natürlich: Das Wunder hat Unkosten.

110 Menschen sind mit „Saltimbanco“ im kanadischen Cirque du Soleil derzeit in Europa auf Tournee. Sie gastierten bereits in Amsterdam und München und haben jetzt für zwei Wochen auf dem Potsdamer Platz ihr strahlendweißes Zelt aufgeschlagen. 35 Anhänger schleppen die Ausrüstung durch die Lande, der Aufbau des „grand chapiteau“ für 2.500 Menschen dauert an jedem Ort volle acht Tage. Der Cirque du Soleil, von Straßenakrobaten in Quebec gegründet, produziert seit 1984 seine spezielle Mischung von Tanz, Artistik, Musical, Comedy und Spiel. Mittlerweile ist er zu einem vielprämierten Großunternehmen angewachsen; drei Produktionen touren augenblicklich durch die Welt – Handlungsreisende in Sachen Menschheitsträume. Hier und jetzt „Saltimbanco“, 45 Artisten und Musiker. Halb Zirkus, halb Varieté, ist die Show mehr als beides zusammen, und sie ist perfekt. Perfektion bedarf offenbar der Panzerung (siehe oben) und Polsterung: Bei der Berliner Premiere wurde einem Funktionär der Firma Schöller, des Hauptsponsors für die Europatournee, das Wort erteilt. Danach jedoch ging es nur noch um die Welterfahrung aus eigener Kraft. Anzug- und Sandalenträger gleichermaßen durften einen Abend lang glauben, daß der Mensch allein des Menschen wunderbarste Maschine sei.

Foto: Thomas Aurin

Farben prägen „Saltimbanco“, was aus dem Italienischen kommt und so etwas heißt wie „Straßenkünstler“. Stilisierte Blüten in leuchtendem Blau, Gelb und Rot zieren die Bühne, irisierend bunt sind auch die Phantasiekostüme, die nicht auf Niedlichkeit setzen. Der durchs ganze Zelt springende Chor der Gaukler trägt glatte, weiße Masken mit trollhaft nach oben gebogenen Nasen und Wollhaarbüscheln oder Hüten auf dem kahlen Kopf, geschlechterübergreifend. Dieses Ensemble, erweitert durch ein blaugestreiftes und beschwänztes Faktotum, das sich zuweilen zusammenrollt und schläft, sowie durch einen dümmlichen Impresario, macht aus der Show ein Spiel und ist in diesem Genre originär. Immer ist es dabei, auf dem Boden schlängelnd, die Soloauftritte vorbereitend, bestaunend, kommentierend, nachahmend: Panoramabespielung statt Nummerndramaturgie.

Auch eine lose verfolgte Handlung gibt es. Ein kleiner Junge sitzt, in Weiß gewandet, auf einem riesigen Thron. Im Traum wird er erwachsen, wird Clown, inkarniert in jedem der Künstler, um am Ende, wenn er wieder aufwacht, die Narrenkappe zu wählen – für eine glückliche Zukunft. Das ist natürlich kitschig, aber im hochartifiziellen Ambiente durchaus nicht störend. Schlangenmenschen, Kraftmenschen, Menschen, die senkrecht die Stäbe hochlaufen, die wirklich fliegen, auf dem Hochseil Salto schlagen, Zuschauer zur Pantomime verführen..., nichts noch nie Gesehenes. Aber gewagter, synchroner, selbstverständlicher, phantasievoller als alles zuvor. Knochen, Muskeln und Sehnen überwinden hier für Sekunden die Grenzen der Logik und der Schwerkraft; des Menschen Wille reicht, um in der Luft zu schwimmen, sich selbst auf dem Kopf zu sitzen oder den Urwald herbeizuzaubern. Das Wunder besteht aus Training, Disziplin und purer Lust. Das Wunder ist eine Ensembleleistung, und es dauert zweieinhalb Stunden. Petra Kohse

Bis 6. 8., Di.–So. 20 Uhr, Sa./So. auch 15 Uhr, Potsdamer Platz