: Unterm Strich
Vorsicht, Rutschky!
Es ist eine alte und wohlerprobte Strategie des Teufels, des Großkapitals und des internationalen Schweinetums, die wirklichen und tödlichen Gefahren hinter solchen zu verstecken, mit denen die Menschen sich dann in ihrer Einfalt harmlos beschäftigen – derweil hinter ihrem Rücken großes und größtes Unheil unbemerkt heraufdräuen kann. So empfahl man amerikanischen Haushalten in den fünfziger Jahren zum Schutz gegen den Einschlag der Atombombe ein lapidares „duck and cover“ – hinhauen und Aktentasche auf den Kopf, es würde nicht lang dauern. Als die viel größere Gefahr galten Chinesen, Russen und der gemeine Hausschwamm.
Heute, fast genau fünfzig Jahre nach dem ersten Abwurf der Atombombe, ist dieselbe Tendenz zu verzeichnen: Alle reden von Moruroa, von Krebserkrankungen der Anwohner, von der Verstrahlung der Südsee – und währenddessen können sich, fast völlig unbemerkt, hier direkt vor unserer Nase, zwei viel größere Gefahren breit und breiter machen: Sie heißen mit bürgerlichem Namen zunächst „Wiglaf Droste“ und „Katharina Rutschky“ – so als wären es einfach irgendwelche Vortragsreisenden, die nichts weiter im Sinn haben, als vor interessierten Kreisen ihre „Ansichten“ oder gar ihr Liedgut vorzutragen.
Womit man es in Wahrheit zu tun hat, wurde erst an Langzeitbeobachtungen deutlich, die an Zuhörern und Zuhörerinnen vorgenommen wurden, welche ahnungslos in sogenannte „Veranstaltungen“ gerannt waren. Angehörige berichteten, daß die Betroffenen zunächst „völlig normal“ gewirkt hätten. Dann aber seien unmotiviertes Lachen, Trübsinn, Kopfschmerzen und etwas wie ein „Flirren“ vor den Augen aufgetreten, Symptome, denen wenig später Durchfall, Schwerhörigkeit, Atemnot und kreisrunder Haarausfall gefolgt seien. Bei nicht wenigen Zuhörerinnen kam es zu Fehlgeburten. Menschen, die von ihrer Umgebung bis dahin als ausgeglichen und zuverlässig erlebt worden waren, zeigten nun Züge von läppischer Indifferenz, wollten ihr Tellerchen nicht mehr leer essen und nestelten in aller Öffentlichkeit an anderer Leute Kleideröffnungen.
Das alles hätte, von der Welt unbemerkt, noch endlos so weitergehen können, bis zur Versaftung ganzer Geschlechter, gäbe es nicht in der gesamten Republik kleine Gruppen wachsamer Bürger und vor allem Bürgerinnen, die sich wehrhaft an den strategisch bedeutsamen Angriffspunkten postiert und „Katharina Rutschky“ und „Wiglaf Droste“ unerschrocken die Stirn geboten hätten. Vergangene Woche nun bot sich der Gipfel der Infamie: „Katharina Rutschky“ hatte eine „Veranstaltung“ beim Freiburger Theaterfestival aus „Angst“ vor eben jenen Aufrechten abgesagt. Es hätte ein Punktsieg auf ganzer Linie werden können, ein Beispiel, das im ganzen Lande hätte Schule
machen können und müssen, aber dann: Unter heimtückischer Zuhilfenahme der neuen Medien, von denen ja nichts Besseres zu erwarten gewesen war, ließ „Katharina Rutschky“ ihre „Ansichten“ über Fernleitungen, welche an ein geschickt ausgeklügeltes Verstärkersystem angeschlossen waren, auf die Infiltrationsbereiten niedergehen. Über
dieses Fernwärmesystem soll es sogar zu „Diskussionen“ gekommen sein.
Unser Ratschlag also an alle Fernsprechteilnehmer: Etwas, das einen Namen hat, und dieser Name ist uns bekannt, kommt über Radiowellen, Telefondrähte, MTV, öffentliche Fernsehanstalten und sogar Nachrichtenticker auf euch zu. Hebt nicht mehr ab! Schaltet nicht mehr ein! Schlagt nicht mehr auf! Geht nicht mehr unbewaffnet vor die Tür! No passaran!
Mariam Niroumand
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